BauSV 2/2024


Rechtsprechungsreport | Architektenrecht


Eva-Martina Meyer-Postelt


Überprüfung von Baumaterialien gehört zur Objektüberwachung des Architekten


1. Der Architekt schuldet eine Überwachung der Bauausführung auch dahingehend, ob die Handwerker ordnungsgemäß mit dem zu verarbeitenden Material umgehen.

2. Wird Rollenware verarbeitet, muss der bauüberwachende Architekt jedenfalls stichprobenartig prüfen, ob diese vor dem Verlegen ausgerollt wurde.

OLG Schleswig, Urteil vom 04.10.2023 – 12 U 25/21


Zum Sachverhalt

Die Klägerin K, die ein Krankenhaus betreibt, verlangt von der Beklagten B Schadensersatz wegen Mängeln an einem Flachdach in Höhe von rund 100.000 Euro. Der Anspruch richtet sich auf Vorschuss, und zwar zur Vorfinanzierung der Kosten der Mängelbeseitigung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrages. Die K schloss mit der Rechtsvorgängerin der B einen Generalplanervertrag über die stufenweise Beauftragung der Leistungsphasen 1 bis 9 nach HOAI § 15 für den ersten Bauabschnitt des Bauvorhabens, zu dem auch die Neuerrichtung eines Bettenhauses gehörte.

Dieses wurde mit einem Flachdach ausgestattet. Bei der Ausführung wurden die Flachdachabläufe aber nicht fehlerfrei eingebaut. Folge davon war, dass sie anstauendes Niederschlagswasser nicht ausreichend ableiten konnten. Die Abdichtungsbahnen weisen jedoch nach den Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen nicht die in den Regelwerken geforderten 80 mm Überlappung auf.

Grund hierfür soll sein – nach den Feststellungen des Sachverständigen –, dass die verlegte Rollenware vor der Verarbeitung nicht ausgerollt wurde, um sich zu »strecken«, sodass sie ihre wellenförmige Struktur behalten hat. Hierdurch soll es zu einer Verkürzung der Bahnen gekommen sein, denn nach den Feststellungen des Sachverständigen hat die Überlappung der Stöße in Längsrichtung weniger als 80 mm betragen.

Die B hält einen Überwachungsfehler nicht für gegeben, weil sie das fehlende »Strecken« der Bahnen nicht kausal für den Mangel am Bauwerk ansieht. Das aber sieht das Landgericht – gestützt auf das eingeholte Sachverständigengutachten – anders und verurteilt die B allerdings nur zur Zahlung von rd. 70.000 Euro, weil das Landgericht einen Abzug »alt für neu« vornimmt. Dagegen wenden sich K und B mit ihren Berufungen. Während die B beim OLG keinen Erfolg hat, erzielt die K einen Erfolg. Das OLG ändert das Urteil des Landgerichts ab und verurteilt die B zur Zahlung von rd. 95.500 Euro.


Aus den Gründen

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Der Einwand der Beklagten, ein Überwachungsfehler hinsichtlich der Verklebung der Dachbahnen sei nicht festzustellen, ist unbegründet. Der Architekt schuldet eine Überwachung der Bauausführung auch dahingehend, ob die Handwerker ordnungsgemäß mit dem zu verarbeitenden Material umgehen. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen.

Diese Feststellung ergibt sich aus der vorliegenden Begutachtung des Sachverständigen. Danach soll das Material nicht zum Strecken für einige Zeit ausgerollt worden sein, was zu einer Verkürzung der Bahnen geführt haben soll. Durch die Verkürzung der Bahnen soll sich die Überlappung der Stöße in Längsrichtung reduziert haben und soll nun kleiner als 80 mm (65–75 mm) sein. Damit liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik vor.

Im Hinblick auf diese Erläuterungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung der Bewertung des Landgerichts an, welches einen Überwachungsfehler der Rechtsvorgängerin der Beklagten festgestellt hat. Der Sachverständige hat plausibel und nachvollziehbar dargestellt, dass es zur Herstellung eines dichten Daches verschiedener Maßnahmen bedarf, die dieses Ziel absichern sollen.

Infolgedessen greift der Einwand nicht durch, dass eine einzelne fehlerhafte Bauausführung (»Strecken« der Bahnen durch die Handwerker vor dem Einbau), die von der Beklagten zu überwachen war, nicht kausal für die festgestellten Mängel am Objekt gewesen ist. Wenn Rollenware verarbeitet wird, dann muss der bauüberwachende Architekt jedenfalls stichprobenartig prüfen, ob diese vor dem Verlegen ausgerollt wird. Wenn das Material vor dem Verlegen ausgerollt worden wäre, wäre es zu weniger, vielleicht auch gar keinen Verkürzungen gekommen, jedenfalls nicht zu Verkürzungen im Umfang wie hier festgestellt.


Anmerkung

Soweit sich die Klägerin mit ihrer Berufung gegen den vom Landgericht vorgenommenen Abzug »alt für neu« gewandt hat, hat sie Erfolg. Das OLG weist zwar darauf hin, dass in der vorliegenden Fallkonstellation dem Grunde nach eine Vorteilsausgleichung in Betracht kommen könnte. Allerdings verneint das OLG diesen nach Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte des Einzelfalls und stellt fest, dass – abweichend von der Beurteilung des Landgerichts in Anwendung des § 287 ZPO – hier kein Abzug »neu für alt« stattfindet.

Das Prinzip der Vorteilsausgleichung besagt, dass ein durch das schadensstiftende Ereignis verursachter Vorteil oder eine messbare Vermögensmehrung mit dem Schadensersatzanspruch auszugleichen ist. Ein Geschädigter soll nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis gestanden hätte. Die Vorteilsausgleichung stellt einen Faktor der Schadensberechnung dar. Die Vorteilsausgleichung setzt voraus, dass die Anrechnung des Vorteils aus Sicht der Geschädigten zumutbar ist; die Vorteilsausgleichung muss also dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen und darf den Schädiger nicht unbillig entlasten.

Eine in diesem Sinne unbillige Entlastung kann vor allem dann vorliegen, wenn die Vorteilsausgleichung zugunsten eines trotz ständiger Mängelrügen seinen werkvertraglichen Gewährleistungspflichten nicht nachkommenden Unternehmers Berücksichtigung fände. Der Unternehmer darf dadurch, dass der Vertragszweck nicht sogleich, sondern erst später im Rahmen der Gewährleistung erreicht wird, keine Besserstellung erfahren.

Der sog. Abzug »neu für alt« kommt in Betracht, wenn die Beseitigung des Mangels zu einer Wertverbesserung gegenüber dem Zustand des Objekts ohne den Mangel führt. Die Wertverbesserung kann sich in erster Linie aus einer längeren Haltbarkeit aufgrund der Reparatur oder aus der Einsparung turnusmäßiger Renovierungsarbeiten ergeben. Der Abzug »neu für alt« kann aber in vielen Fällen dadurch kompensiert sein, dass der Besteller bis zur Nachbesserung mit den negativen Auswirkungen des Mangels leben musste.

Das betrifft insbesondere die Fälle, in denen der Unternehmer die Nachbesserung oder Ersatzleistung verzögert hat. In diesen Fällen verrechnet die Rechtsprechung den Vorteil der – jetzt – längeren Haltbarkeit mit den Nachteilen, die der Besteller aufgrund des Mangels bis zu seiner Beseitigung in Kauf nehmen musste. Dagegen kann ein Abzug in Betracht kommen, wenn der Mangel sich erst nach längerer Nutzungsdauer zeigt und der Besteller bis dahin keine Nachteile hinnehmen musste.

EMMP


Den ganzen Beitrag können Sie in der April-Ausgabe von »Der Bausachverständige« lesen.
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