BauSV 2/2024


Baurecht

Kran schwenkt zur Durchführung eines Bauvorhabens in den Luftraum des Nachbargrundstücks ein
Abb. 1: Unvermeidbares Überschwenken bei beengten Verhältnissen und Alternativen für einen wirtschaftlichen Materialtransport stehen häufig nicht zur Verfügung

Andreas Jurgeleit, Ingo Kern


Recht haben, Recht bekommen

Unterlassungsverfügung zum Hammerschlags- und Leiterrecht wegen Schwenkens eines Baukrans


I. Einleitung

Das OLG Stuttgart hat mit einem Urteil vom 31.08.2022 [1], das zwischenzeitlich in der Baupraxis vollständig aufgeschlagen ist und zur Kenntnis genommen wurde, eine bedeutsame Entscheidung für die Durchführung von Baumaßnahmen zum Hammerschlags- und Leiterrecht getroffen.

Dem Fall lag der triviale Lebenssachverhalt zugrunde, dass zur Durchführung eines Bauvorhabens ein Kran benötigt wird und dieser in den Luftraum des Nachbargrundstücks einschwenkt. Der Bauherr hatte diesen Umstand dem Nachbarn vor Beginn der Bauarbeiten jedoch nicht mitgeteilt. Das ist die Situation, die unserer Bemerkung zugrunde liegt, dass Sprache mehr bedeutet als eine Krücke für Menschen, die der Kommunikation durch Telepathie nicht mächtig sind. Verständigung und Ausgleich spielt zwischen Menschen eine in jeder Hinsicht existenzielle Rolle. Diese Vorrede kommt Ihnen, liebe Leser, vermutlich bekannt vor, sie zitiert eine anerkannte Alltagsweisheit: Es geschieht nicht. Wie es Vorsatz und Gewissen halt so treiben, ging der Nachbar im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen den Bauherrn vor.

Das OLG Stuttgart gab ihm Recht und verurteilte den Bauherrn, es zu unterlassen, einen Baukran in den Luftbereich über dem Grundstück des Nachbarn zu schwenken oder schwenken zu lassen. Das Ergebnis verschlug selbst kampferprobten Schönrednern die Sprache. Dem Verfügungsbeklagten wurde für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein hohes Ordnungsgeld angedroht. 250.000 Euro Ordnungsmittel ist nun ein Betrag, den man eigentlich nur aus der Ferne betrachten kann, will man ihn überblicken. Überblickt man ihn nicht, kann Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verhängt werden. Die Geschichte ist jedenfalls voller Beispiele von überraschenden Wenden, von jäh zusammenstürzenden Reichen, von Rechnungen, die ohne den Wirt gemacht wurden. Man muss in dieser Sache ein wenig um die Ecke und ein wenig abstrahierend denken, sonst kommt man – bestenfalls – zur üblichen Bild-Schlagzeile.


Wesentliche Grundlage für die Entscheidung waren die Regelungen über das Hammerschlags- und Leiterrecht in § 7d des Nachbarrechtsgesetzes Baden-Württemberg (NRG BW). Dieses Gesetz hat in § 7d folgenden Inhalt:

»(1) Kann eine nach den baurechtlichen Vorschriften zulässige bauliche Anlage nicht oder nur mit erheblichen besonderen Aufwendungen errichtet, geändert, unterhalten oder abgebrochen werden, ohne dass das Nachbargrundstück betreten wird oder dort Gerüste oder Geräte aufgestellt werden oder auf das Nachbargrundstück übergreifen, so haben der Eigentümer ... des Nachbargrundstücks die Benutzung insoweit zu dulden, als sie zu diesen Zwecken notwendig ist.

(2) Die Absicht, das Nachbargrundstück zu benutzen, muss dem Eigentümer und dem Besitzer zwei Wochen vor Beginn der Benutzung angezeigt werden ...«

Fast alle anderen Länder der Bundesrepublik Deutschland haben ähnliche, wenn auch im Einzelnen unterschiedliche Regelungen (Tab. 1).

So ist beispielsweise das Hammerschlags- und Leiterrecht in Nordrhein-Westfalen in NachbG NRW § 24 wie folgt geregelt:

»(1) Der Eigentümer ... muss dulden, dass [sein] Grundstück ... zum Zwecke von Bau- oder Instandsetzungsarbeiten auf dem Nachbargrundstück vorübergehend betreten und benutzt wird, wenn und soweit

  1. die Arbeiten anders nicht zweckmäßig oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten durchgeführt werden können,
  2. die mit der Duldung verbundenen Nachteile ... nicht außer Verhältnis ... stehen,
  3. ausreichende Vorkehrungen zur Minderung der Nachteile ... getroffen werden und
  4. das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht widerspricht.

(2) Das Recht ist so schonend wie möglich auszuüben. Es darf nicht zur Unzeit geltend gemacht werden.

(3) Für die Anzeige ... gelten die §§ 16 und 17 entsprechend [Frist 4 Wochen]«


Wenn es folglich um die Verwirklichung solcher Normen geht, muss zunächst nüchtern die jeweilige Landesvorschrift in ihrer konkreten Beschaffenheit zur Kenntnis genommen werden. Soweit Bremen und Mecklenburg-Vorpommern kein Nachbarrechtsgesetz erlassen haben, die Grundlage für Duldungspflichten im Zusammenhang mit Bau- oder Instandsetzungsarbeiten sind, kann sich ein Duldungsanspruch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) in Verbindung mit dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ergeben, wenn dieser für einen billigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zwingend geboten ist. [2]

Es ist also, wie bei der Anwendung von § 7d NRG BW oder § 24 NachbG NRW, stets eine Frage der Umstände des Einzelfalls, ob der Nachbar die Einwirkungen auf sein Grundstück zu dulden hat. Die üblichen schematischen Lösungsansätze der Bewertung sind da ziemlich nutzlos und führen nicht weiter – was es für die Baupraxis nicht einfacher macht.

Um die Entscheidung einzuordnen und zu bewerten, erörtern Andreas Jurgeleit unter II. die rechtlichen Grundlagen des Urteils und Ingo Kern unter III. die baupraktischen Auswirkungen.


II. Rechtliche Erwägungen

Das OLG Stuttgart hatte über einen Antrag in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zu entscheiden. Ein solcher Antrag ist begründet, wenn der Antragsteller / Verfügungskläger (hier: der Nachbar) einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft macht (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO).


1. Verfügungsanspruch

Mit Verfügungsanspruch ist der materiell-rechtliche Anspruch gemeint, der auf Unterlassen eines Schwenkens des Krans über das Nachbargrundstück gerichtet ist. Ein solcher Anspruch kann sich insbesondere aus § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben. Diese Norm setzt voraus, dass der Nachbar in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird.

[1] 4 U 74/22, MDR 2022, 1475

[2] BGH, Urteil vom 20.05.2022 – V ZR 199/21 Rdn. 9, BauR 2022, 1645


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