BauSV 6/2023


Baurecht


Katharina Bleutge


Herausforderungen für Sachverständige im Handwerk

Objektivität, Neutralität, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit


Besonders – aber nicht nur – im gerichtlichen Bereich müssen handwerkliche Sachverständige [1] strikte Neutralität und Objektivität bei ihrer Tätigkeit wahren; dies gilt insbesondere für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige. Doch wo sind die Grenzen? Was ist noch »vertretbar« und wann ist die Besorgnis der Befangenheit gegeben, mit welchen Folgen?


1. Allgemeines

Sachverständige haben einen erheblichen Einfluss auf den Ausgang von gerichtlichen Verfahren. Oft steht und fällt die Entscheidung mit ihrem Gutachten. Daher sind nicht nur hohe Anforderungen an ihre besondere Sachkunde zu stellen, sondern mindestens ebenso an die persönliche Integrität. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige muss allen Verfahrensbeteiligten neutral und unvoreingenommen begegnen. Zweifel an seiner Unparteilichkeit gehen stets zu seinen Lasten; der Richter muss einem berechtigten Ablehnungsgesuch der (angeblich) beeinträchtigten Partei stattgeben.

Nach § 406 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden wie ein Richter, also entspr. § 42 ZPO auch wegen Besorgnis der Befangenheit. Es muss ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Diese Grundsätze gelten auch bei Privatauftrag. Doch wann liegen Gründe vor, die zur Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen führen?

Zunächst gilt, dass es für die Besorgnis der Befangenheit nicht darauf ankommt, ob der Sachverständige tatsächlich parteiisch ist oder ob ein Auftraggeber Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, wenn vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen einer verständigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu erregen.

Dies können persönliche Beziehungen zu einer Partei (Verwandtschaft, Ehe, Lebenspartnerschaft, Freundschaft, Feindschaft) oder die eigene Beteiligung an einem früheren Verfahren, z.B. als Schiedsgutachter oder Handelsrichter, sein. In Betracht kommen auch geschäftliche Beziehungen zu einer Partei, die Vorbefasstheit in der Sache als Privatgutachter oder wirtschaftliche Abhängigkeiten. Die vielleicht bedeutsamsten Befangenheitsgründe sind aber wohl die vom Sachverständigen selbst herbeigeführten Umstände, die zu seiner Ablehnung führen.

Ein Kardinalfehler ist z.B. die Durchführung der Orts- oder Objektbesichtigung, ohne dass allen Berechtigten Gelegenheit zur Teilnahme gegeben wurde, sei es wegen nicht ordnungsgemäßer Einladung oder wegen eines unberechtigten Ausschlusses vor Ort. Auch sprachliche Entgleisungen können eine Ablehnung rechtfertigen. Bezeichnet der Sachverständige das Klägervorbringen z.B. als »Märchenstunde« oder führt er aus, dass eine Aussage des Beklagten »eine idiotische Behauptung« sei, kann dies zur Ablehnung führen.

Gleiches gilt für die Überschreitung des Beweisbeschlusses, die eigenmächtige Auslegung von Parteivorbringen und rechtliche Ausführungen des Sachverständigen, beispielsweise wenn er dem Richter unzulässigerweise den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits weist. Die Rechtsprechung zur Frage, wann das Verhalten eines Gerichtssachverständigen ein berechtigter Ablehnungsgrund ist, ist inzwischen unüberschaubar. Ein roter Faden ist deshalb nicht erkennbar, weil es sich naturgemäß um Einzelfallentscheidungen handelt.

Die rasante Zunahme der Ablehnungsentscheidungen beruht nicht zuletzt darauf, dass Haftungsansprüche gegen den Sachverständigen nach § 839a BGB voraussetzen, dass während des Verfahrens alle prozessualen Möglichkeiten ausgereizt werden müssen, bevor der Sachverständige in Anspruch genommen werden kann.

Hierzu gehören auch Befangenheitsanträge. Die Schwelle zur Ablehnung ist relativ niedrig, was in Anbetracht der Bedeutung des Gutachtens für den Ausgang des Verfahrens aus Sicht der Parteien gerechtfertigt sein mag. Jedoch offenbaren manche Befangenheitsanträge scheinbar schikanöse Züge: In einem Fall sollte der Sachverständige abgelehnt werden, weil er sich während eines Ortstermins im Hausmeisterbüro einer Partei aufgewärmt und dort die Toilette benutzt hatte.

In einem anderen Fall fühlte sich eine Partei in ihrem Weihnachtsfrieden gestört, weil ihr die Einladung zur Ortsbesichtigung am 24.12. zuging. Beide Ablehnungsanträge wurden abgelehnt. Auch inhaltliche Mängel im Gutachten führen in der Regel nicht zur erfolgreichen Ablehnung. Das Ablehnungsgesuch ist nach § 406 Abs. 2 ZPO vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung.

Ergeben sich die Gründe für eine Befangenheit erst später (z.B. bei der Ortsbesichtigung oder aus dem Gutachten selbst), muss das Ablehnungsgesuch unverzüglich – also ohne schuldhaftes Zögern – nach Kenntnis des Befangenheitsgrundes geltend gemacht werden. [2] Verhandelt eine Partei in Kenntnis des Ablehnungsgrundes zur Sache, geht ihr Ablehnungsrecht verloren (§ 43 ZPO analog). [3]

In schwerwiegenden Fällen von nachgewiesener Befangenheit, also bei vom Sachverständigen grob fahrlässig verursachter Ablehnung, kann der Sachverständige seinen gesamten Vergütungsanspruch verlieren (§ 8a Abs. 2 Nr. 3 JVEG). Dies ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn er zu einem Ortstermin nur eine Partei einlädt oder vergisst, die beigetretene Streithelferin einzuladen. Als objektive Gründe, die ein subjektives Misstrauen rechtfertigen, kommen also persönliche, geschäftliche, berufliche oder gesellschaftliche Beziehungen des Sachverständigen zu einer Prozesspartei und vom Sachverständigen selbst geschaffene Ablehnungsgründe in Betracht.

Persönliche Beziehungen des Sachverständigen zu einer Partei können sein:

  • Freundschaft, Bekanntschaft, Verwandtschaft, laufende Geschäftsbeziehungen,
  • Feindschaft, geschäftliche Konkurrenz, Zugehörigkeit zur selben Innung,
  • Wirtschaftliche Abhängigkeit (Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis; Beamtenverhältnis),
  • Privatgutachtliche Tätigkeit in derselben Sache oder in anderen Sachen,
  • Beziehungen zum Privatgutachter, zum Vorgutachter, zur Versicherung, zum Rechtsanwalt, zum Arzt einer Partei,
  • Tätigkeiten in früheren Gerichtsverfahren oder in Parallelverfahren.


[1] Allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Aufsatz nur das generische Maskulinum verwendet. Gleichwohl sind stets alle Geschlechter gemeint.

[2] OLG Thüringen, 30.10.2015, Az.: 1 WF 136/15; IBR 2046, Heft 4, S. 248

[3] OLG Brandenburg, 16.03.2020, Az.: 11 W 4/20; BeckRS 2020, 4921

 
Den ganzen Beitrag können Sie in der Dezember-Ausgabe von »Der Bausachverständige« lesen.
Informationen zur Abo-Bestellung

Diesen Beitrag finden Sie auch zum Download im Heftarchiv.

 

NEWSLETTER

Der BauSV-Newsletter bietet Ihnen alle zwei Monate kostenlos aktuelle und kompetente Informationen aus der Bausachverständigenbranche.

zur Newsletter-Anmeldung

Zurück zum Seitenanfang