BauSV 1/2024


Baurecht


Expertenmeinung: DIN 18014 – Erdungsanlagen

Im Gespräch: Martin Schauer, ö.b.u.v. Sachverständiger im Elektrotechniker-Handwerk und elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder, und Dr. Jan Thiele, DOMBERT Rechtsanwälte, Potsdam


Die DIN 18014:2023-06 Erdungsanlagen wurde noch vor Eröffnung des Schlichtungsverfahrens veröffentlicht. Das Schiedsverfahren steht noch aus. In den Beiträgen in Der Bausachverständige 5/2023: »DIN 18014 – Erdungsanlagen; Normung mit der Brechstange« und in Der Bausachverständige 6/2023: »Erdungsanlagen – DIN 18014:2023-06 unter die Lupe genommen« informiert der Autor Martin Schauer über die nationale und internationale Verweisungstaktik, die Reaktionen der Bundesnetzagentur und des BDEW und stellte die Frage in den Raum, ob das Regelwerk eine reine »Verbrauchsnorm« ist.

Weiterhin wird untersucht, ob die DIN-Norm entsprechend der Normengrundsätze der DIN 820-1 erarbeitet wurde und den Anforderungen einer anerkannten Regel der Technik (a.R.d.T.) entsprechen kann. Bausachverständige, Normenanwender und Investoren stehen angesichts zweifelhafter rechtlicher Einbettungen der Norm sowie Widersprüchen zu anderen technischen Regelwerken und physikalischen Aspekten vor einem Dilemma. In diesem Beitrag beantwortet Rechtsanwalt Dr. Jan Thiele Fragen des Sachverständigen Martin Schauer.


In zahlreichen Fachbeiträgen wurde physikalisch nachgewiesen, dass beim in Deutschland überwiegend angewendeten TN-System keine Erdungsanlage notwendig ist. Die technischen Regeln des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V., welche nach § 49 EnWG die Vermutungswirkung beinhalten, sie seien a.R.d.T., bestätigen dies. So enthält die VDE 0100-100:2009-06 Abbildungen (u.a. Bild 31B1) und textliche Hinweise, in denen an den Gebäuden der Anschlussnehmer keine Erdungsanlage vorgesehen ist.

Trotzdem sieht die Bundesnetzagentur (BNetzA) im Positionspapier die Notwendigkeit einer Erdungsanlage an allen Gebäuden, unabhängig vom Netzsystem, und verwendet Formulierungen des BDEW, der ausschließlich die Interessen der deutschen Strom- und Energiebranche vertritt. Die technischen Ausführungen der Positionspapiere der BNetzA und des BDEW widersprechen den a.R.d.T.

Schauer: Ö.b.u.v. Sachverständige haben bei baubegleitenden Qualitätsüberwachungsmaßnahmen sowie der Abnahme solcher Projekte Erdungsmaßnahmen u.a. auch unter wirtschaftlichen Aspekten zu bewerten. Werden unhaltbare Forderungen erhoben, können Haftpflichtschäden drohen. Wie sollen sich Bausachverständige verhalten?

Thiele: Unproblematisch ist dies nicht! Für die Haftung der ö.b.u.v. Sachverständigen kann man sich am Maßstab des
§ 839a BGB orientieren. Eine Haftung droht hiernach bei der Erstellung eines unrichtigen Gutachtens, welches nicht der objektiven Sachlage entspricht. Die Pflicht des Gutachters besteht dabei darin, alle Daten und Fakten zu berücksichtigen. Eine Haftung besteht jedoch erst, wenn ein solches unrichtiges Gutachten erstellt wurde, dem Sachverständigen dieser Fehler nachgewiesen wurde und vor allem ihm grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz nachgewiesen werden kann. Diese Hürde muss erst einmal übersprungen werden.

Haftungsrelevante Fehler drohen ausgehend hiervon beispielsweise bei Verwendung einer nicht fachgerechten Methodik, dem Ausgehen von einer falschen oder unvollständigen Sachverhaltsgrundlage oder der Vornahme unlogischer Ableitungen bzw. bei gravierenden Darstellungsmängeln. DIN-Normen gelten dabei nicht ohne Weiteres als anerkannte Regeln der Technik. Ihre Einhaltung stellt lediglich einen Beweis des erstens Anscheins dafür dar, dass sie die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Denn DIN-Normen sind freiwillig. Sie erlangen Rechtsverbindlichkeit erst, wenn Gesetze oder Rechtsverordnungen hierauf verweisen. Allerdings ziehen Gerichte diese regelmäßig als Entscheidungsgrundlage, insbesondere bei Haftungsprozessen, bei der Frage heran, ob die verkehrsübliche Sorgfalt eingehalten wurde. DIN-Normen stellen somit eine Vermutungswirkung dar, die darauf schließen lässt, dass bei der Einhaltung der DIN-Normen grundsätzlich von der Einhaltung der objektiven Sorgfalt ausgegangen wird.

Mit anderen Worten führt die Nichteinhaltung der DIN-Norm nicht zwangsläufig zu einem Mangel. Die verkehrsübliche Beschaffenheit kann auch ohne Einhaltung der DIN-Norm bestehen. Jedoch greift dann die Vermutungswirkung nicht, besteht also ein erhöhter Begründungsaufwand. Bei Abweichung des Sachverständigen von einer DIN-Norm besteht damit nicht der allgemeine Anscheinsbeweis, dass sorgfältig gearbeitet wurde. Damit obliegt ein erhöhter Begründungsaufwand, warum trotz Nichteinhaltung der DIN-Norm die allgemeinen Regeln der Technik eingehalten wurden.

Eine allgemein anerkannte Regel der Technik gilt im Übrigen als solche, wenn sie energierechtsübergreifend einerseits der Richtigkeitsüberzeugung der Mehrheit der technischen Fachleute sowie andererseits der Erprobung und Bewährung in der Praxis entspricht. DIN-Normen sind somit nicht zwingend anzuwenden, insbesondere, wenn wissenschaftliche oder physikalische Aspekte der Anwendung widersprechen. Eine Haftung steht folglich nur im Raum, wenn der Beweis, dass die DIN-Norm nicht dem allgemeinen Stand der Technik entspricht, nicht erbracht werden kann. Eine bloße Abweichung von anderen Sachverständigengutachten stellt dabei keinen Mangel dar. Wenn der Sachverständige auf der einen Seite seine abweichende Auffassung schlüssig und nachvollziehbar begründet, handelt er nicht grob fahrlässig. Allerdings wird auf der anderen Seite zum Teil eine grobe Fahrlässigkeit bei einer unzutreffenden Anwendung einer DIN-Norm verneint. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Rechtsprechung diese Beurteilung weit auslegt.

Zusammengefasst: Bei Einhaltung der DIN-Norm besteht der Anscheinsbeweis, dass fehlerfrei gearbeitet wurde. Wendet man die DIN-Norm nicht an, muss dies durch erhöhten Aufwand gerechtfertigt werden. Allerdings ist man auch durch die bloße Anwendung der DIN-Norm nicht von einer Haftung befreit, wenn dem Gegenüber der Nachweis gelingt, dass die DIN-Norm nicht mehr dem allgemeinen Stand der Technik entspricht bzw. überholt ist. Gerade wenn eine DIN-Norm anhand neuster wissenschaftlicher Erkenntnis nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, sollte man diese Erkenntnisse nutzen, um eine falsche oder überflüssige Bauweise zu vermeiden.

Im Beitrag in »Der Bausachverständige« 5/2023: »DIN 18014 – Erdungsanlagen; Normung mit der Brechstange« wird das Verweisungsgeflecht um die DIN 18014 erörtert (Abb. 1). Offenbar hat DIN bzw. DKE gegen die Geschäftsordnung der CENELEC verstoßen.

 
Das ganze Interview können Sie in der Februar-Ausgabe von »Der Bausachverständige« oder hier lesen.
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