Christian Romer


Die Vermutungswirkung zugunsten von DIN-Normen

als allgemein anerkannte Regeln der Technik und wie man sie widerlegt


Der Beitrag befasst sich anhand von zwei aktuellen Urteilen mit der Frage, welche Anforderungen an die Widerlegung der Vermutungswirkung von DIN-Normen zu stellen sind.

Aus dem juristischen wie baupraktischen Bereich sind sie nicht wegzudenken, die allgemein anerkannten Regeln der Technik. Sofern nicht anders zwischen Bauherrn und Unternehmer vereinbart, sind sie grundsätzlich einzuhalten. Eine nicht abgesprochene Abweichung wird meist zur Annahme der Mangelhaftigkeit der Leistungen des Unternehmers führen.

In diesem Zusammenhang haben sich das OLG Hamm und das OLG Rostock damit beschäftigt, wann die Vermutung, der Inhalt einer DIN-Norm entspreche den allgemein anerkannten Regeln der Technik, als widerlegt anzusehen ist. Im Folgenden soll sich, unter Bezugnahme auf diese Entscheidungen, mit der Frage beschäftigt werden, welche Anforderungen an die Widerlegung dieser Vermutungswirkung zu stellen sind.


1. Grundsatz: Die DIN-Norm und die allgemein anerkannte Regel der Technik

Vom Deutschen Institut für Normung e.V. (DIN) heißt es zur Entstehung einer DIN-Norm: »Normen entwickeln diejenigen, die sie später anwenden. Damit der Markt die Normen akzeptiert, sind eine breite Beteiligung, Transparenz und Konsens Grundprinzipien bei DIN. Jeder kann einen Antrag auf Normung stellen. Alle an einem Thema interessierten Kreise erhalten die Möglichkeit, mitzuwirken und ihre Expertise einzubringen. Vor der Verabschiedung werden die Norm-Entwürfe öffentlich gemacht und zur Diskussion gestellt. Die beteiligten Experten müssen sich über die endgültigen Inhalte grundsätzlich einig sein. Spätestens alle fünf Jahre werden Normen auf den Stand der Technik hin überprüft.«

Der Inhalt der DIN-Normen soll also, so das Ziel der DIN, den aktuellen Konsens zu einem Thema abbilden. Die Aktualität der Inhalte der Normen soll durch regelmäßige Überprüfungen gewährleistet werden.

Hinter der DIN steht nicht der Gesetzgeber. Die Normen stellen kein Gesetz und keine Rechtsnorm dar, sondern sind private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Für Juristen werden diese etwa bei der Frage der Mangelhaftigkeit des Gewerks einerseits relevant, wenn die Einhaltung der Vorgabe einer DIN-Norm konkret zum Inhalt der vertraglichen Vereinbarung gemacht wird, also die vereinbarte Beschaffenheit darstellen soll (§ 633 Abs. 2 S. 1 BGB). Wird die Beschaffenheit andererseits nicht vereinbart, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB), sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB). 

Zur Bewertung der Mangelfreiheit eines Werks zählt die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Deren Einhaltung wird üblicherweise stillschweigend bei Vertragsschluss durch den Unternehmer versprochen, womit sie den einzuhaltenden Mindeststandard darstellen. Dreh- und Angelpunkt für Juristen ist also bei fehlenden Beschaffenheitsvereinbarungen grundsätzlich der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Die Inhalte der DIN-Normen stellen keine allgemein anerkannten Regeln der Technik dar, nur weil sie vom DIN sind. Die DIN-Normen können die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, können aber auch hinter diesen zurückbleiben. Eine Legaldefinition des Begriffs »allgemein anerkannte Regel der Technik« gibt es nicht. 

Das OLG Rostock bedient sich folgender Formulierung: »Eine technische Regel ist allgemein anerkannt, wenn sie der Richtigkeitsüberzeugung der technischen Fachleute im Sinne einer allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung entspricht und darüber hinaus auch in der Praxis erprobt und bewährt ist. Auf beiden Stufen muss die jeweilige technische Regel der überwiegenden Ansicht (Mehrheit) der technischen Fachleute entsprechen.«

Unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Kompendium des Baurechts von Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher greift das OLG Hamm auf folgende Formulierung zurück: »Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind.«

Ergänzend heißt es im Kompendium des Baurechts: »Kurz: Ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik liegt vor, wenn der Auftragnehmer solche technischen Regeln nicht beachtet, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und die sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben.«

Für den Beurteilungszeitpunkt, wann eine Werkleistung den anerkannten Regeln der Technik entsprechen muss, ist auf den jeweiligen Zeitpunkt der Abnahme des Werks abzustellen.


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