BauSV 2/2024


Bautechnik

Fassade im Wilden Verband
Abb. 5: Objekt 1, Fassadenseite 2

Martin Zerwas, Bernhard Schütte


Der Wilde Verband – die Regeln der Unregelmäßigkeit

Untersuchung, Diskussion und Beurteilung der (allgemein anerkannten) Regeln des Wilden Verbands


Der Wilde Verband zeichnet sich durch seine vielseitige Anwendbarkeit und unregelmäßige Ästhetik aus, wodurch er sich von anderen Mauerwerks- und Zierverbänden unterscheidet. Dieser Artikel umfasst eine gründliche Recherche über existierende Regeln, ihre historische Entwicklung und ihre Anwendung in der Praxis. Ziel ist es, eine Grundlage für die Beurteilung von Fassaden im Wilden Verband zu schaffen und praxisrelevante Informationen für Planung, Ausführung und Beurteilung zu liefern.


1 Einleitung

Die »anerkannten Regeln der Technik« (a.R.d.T.) sind zentral für die juristische Beurteilung der Mangelhaftigkeit einer Bauleis­tung im öffentlichen und privaten Baurecht. Sie werden als Mindeststandard verstanden, dessen Einhaltung im Bauvertrag implizit versprochen wird [1] [2]. Diese Regeln sind jedoch gesetzlich nicht genau definiert. Sie basieren auf der praktischen Bewährung oder anerkannten Eignung nach Meinung der Mehrheit der Fachleute.

Dieser Konsens beruht auf theoretischer Richtigkeit und der Anerkennung durch die Mehrheit der Fachleute. Diese offene Ausgestaltung ermöglicht die Integration ständiger wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen [2]. Zur Beurteilung, ob eine Bauleistung den a.a.R.d.T. entspricht, wird oft auf schriftliche Normen und Regelwerke, wie DIN-Normen oder Fachmerkblätter, zurückgegriffen. Was bei der (optischen) Beurteilung eines Wilden Verbands als Beurteilungsgrundlage dienen könnte, ist Gegenstand dieses Artikels und unserer Untersuchungen [3].

Der Wilde Verband zählt zu den zahlreichen Zierverbänden, die beim Vermauern von Sichtmauerwerk zur Anwendung kommen. Diese Verbandsmuster sind für die ästhetische Gestaltung von Fassaden von wesentlicher Bedeutung. Während traditionell der Lastabtrag als primäre Funktion eines Mauerwerksverbands galt, dienen Zierverbände neben den grundlegenden bauphysikalisch-technischen Aspekten vorrangig der optischen Aufwertung der Fassadengestaltung.

Eine einheitliche Definition des Wilden Verbands ist in der Fachliteratur nicht verzeichnet. Dr. Petra Zadel-Sodtke [4] hat in ihrer Arbeit die verschiedenen Deutungsansätze dieses Konzepts von Zierverbänden in fünf zentralen Punkten dargelegt:

  • beruhigendes Verbandsmuster,
  • dekoratives Verbandsmuster,
  • dekorative Ziegelverschalung,
  • statisch nicht tragfähiges Verbandsmuster,
  • Sonderformen des Standardverbands.

Unser Ziel ist es, bestehende Regeln für den Wilden Verband zu untersuchen, ihre Anwendung in der Praxis zu beurteilen und festzustellen, ob sie als a.a.R.d.T. gelten können. Dabei werden historische Entwicklungen, aktuelle Praktiken sowie technische und ästhetische Aspekte berücksichtigt.

Die Frage danach, ob die Verblend­schale der Fassade eines Objekts in der Ausführung eines »Wilden Verbands« den a.a.R.d.T. entspricht, stellt Sachverständige vor das Dilemma einer sachgerechten und fun­dierten Beantwortung. Zierverbände sind nicht normativ geregelt und für den »Wilden Verband« existieren viele uneinheitliche und in Teilbereichen voneinander abweichende Regeln.

Sind daher die bisher veröffentlichten Regeln für diesen Zierverband unter Berücksichtigung der Definition der allgemein anerkannten Regeln der Technik für die Beantwortung der gestellten Frage überhaupt anwendbar? Insbesondere ist der Sachverständige vor ein Beurteilungsproblem gestellt, wenn die Baubeteiligten kein klares und nachvollziehbares Leis­tungssoll definiert haben. In diesem Fall gilt rechtlich gesehen nämlich das »Übliche« als geschuldet, dieses ist durch die allgemein anerkannten Regeln der Technik beschrieben.


2 Historische Bedeutung des Wilden Verbands

Die Backsteinarchitektur verbreitete sich im 12. Jahrhundert in nordalpinen Regionen. Im 13. Jahrhundert führten Bauvorschriften zu regelmäßigeren Mustern in den Mauerverbänden, die Grundlage für spätere Verbände wurden. Im 18. Jahrhundert entwickelten sich definierte Verbandsarten wie der Block- und Kreuzverband. Der Wilde Verband erlebte Ende des 20. Jahrhunderts eine Renaissance, wobei heutige Ausführungen strengeren Standards und Ästhetikvorgaben folgen.

Historisch gab es beim Wilden Verband keine festen Regeln, lediglich handwerkliche Richtlinien. Frühere Brennmethoden führten zu unregelmäßigen Steinen, was das Mauerwerk ungleichmäßig erscheinen ließ. Heutige technische Standards und ästhetische Anforderungen weichen von diesen Praktiken ab.

In »Backsteine und Holz« [5, S. 37–61] werden historische Regeln für Mauerverbände genannt, wie die Anordnung von Steinen an Mauerkanten und Ecken und die Positionierung von Bindern. Die Klosterkirche von Diesdorf zeigt eindrucksvoll den Wilden Verband mit Unregelmäßigkeiten und Farbvariationen der Ziegel, was auf eine spontane und wenig regulierte Bauweise hinweist.


3 Aktuelle Regeln zur Herstellung des Wilden Verbands

Der Wilde Verband ist heute der am weitesten verbreitete Zierverband in der Mauerwerksgestaltung. Sein charakteristisches Erscheinungsbild ergibt sich aus der scheinbar zufälligen Anordnungen von Läufern und Bindern, unter Einbeziehung von ¼- und ¾-Steinen. Diese Unregelmäßigkeiten verleihen der Fassade die Einzigartigkeit. Seine Beliebtheit liegt in der vielseitigen Anwendbarkeit auf verschiedene Architekturstile und Gebäudetypen, von Einfamilienhäusern bis zu Geschäftsgebäuden.


3.1 Verbandsregeln

Unsere Untersuchung [3] zeigt, dass es für die Ausführung des Wilden Verbands kaum normative Vorgaben gibt, abgesehen vom Mindestüberbindemaß der Mauersteine. Das Fehlen normativer Vorschriften für die Herstellung des Wilden Verbands bedeutet jedoch nicht, dass keine Regeln existieren. Ziel des Wilden Verbands ist es, eine »regelmäßige Unregelmäßigkeit« [6] zu erreichen.

Die wesentlichen Anforderungen an den Wilden Verband aus fachlicher Sicht lassen sich wie folgt darstellen (vgl. Abb. 2):

  • a) Vermeidung regelmäßiger Muster
  • b) Überbindemaß mit einem Stoßfugenversatz von einem Viertel der Steinlänge
  • c) Treppenartige Anordnung der Steine
  • d) Anordnung und Anzahl der Läufer und Binder sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Ausrichtung

Um ein möglichst umfassendes Bild der Anforderungen an den Wilden Verband zu erhalten, wurden im Rahmen unserer Untersuchung insgesamt 12 verschiedene Quellen ausgewertet – die detaillierte Darstellung aller Anforderungen ist [3] zu entnehmen:

  • BauWissenOnline – Von Architekten und Ingenieuren
  • KlinkerProfi – Börgers Klinker GmbH
  • Abnahme von Bauleistungen, Band 1 – Rohbau, Dach und Fassade, 5. Auflage
  • Fachverband der Ziegelindustrie Nord e.V.
  • BaunetzWissen
  • Wienerberger
  • Bauprofessor
  • Volker Tribius
  • OLFRY Ziegelwerke – Ausschreibungstexte
  • Hagemeister
  • Klinker-Zentrale GmbH (www.klinker.de) Ausschreibungstexte
  • GIMA-Ziegel – DER HANDSCHLAGZIEGEL Broschüre

Nach der Untersuchung der Veröffentlichungen wird deutlich, dass die Richtlinien für den Wilden Verband stark variieren. Diese Unterschiede spiegeln sich auch in den unterschiedlichen Interpretationen dessen wider, was unter einem Wilden Verband regeltechnisch verstanden wird. Die analysierten Quellen legen nahe, dass es keine einheitlichen Vorgaben gibt. Um diese Regeln zu bewerten, müssen sie zunächst zusammengeführt werden.

Viele der veröffentlichten Regeln sind unterschiedlich ausgedrückt, was den Vergleich erschwert. Es wird daher zunächst ein Referenzbereich definiert, der Abweichungen von den Anforderungen abbildet. Diese Methode erlaubt es, alle recherchierten Regelwerke zunächst unvoreingenommen zu berücksichtigen. Eine Bewertung der Anforderungen wird in späteren Teilen dieses Artikels vorgenommen. Die Anforderungen sind in der folgenden Tabelle aufgelistet. Die Reihenfolge der Auflistung impliziert keine Wertung der Wichtigkeit der Anforderungen.

Für einige der genannten Anforderungen ist eine detailliertere Erläuterung notwendig, um ihr Verständnis und ihre Anwendung zu verbessern.

Das Überbindemaß ist entscheidend für die Flächentragwirkung des Mauerwerks. Es verhindert, dass Stoßfugen lotrecht übereinanderliegen und vermeidet somit unzulässige Kreuzfugen. Das Mindestüberbindemaß wird im Eurocode 6 (DIN EN 1996-1-1:2013-02) definiert. Bei Steinhöhen ≤ 250 mm sollte das Überbindemaß mindestens das 0,4-Fache der Höhe oder mindestens 40 mm betragen, bei Steinen > 250 mm mindestens das 0,2-Fache der Höhe oder mindestens 100 mm. Die Anforderungen unterscheiden sich je nach Steinhöhe und Steinformat.

Teilziegel sind Mauersteine mit einer Länge von ¼, ½ oder ¾ eines ganzen Steins. Der Einsatz von Teilziegeln wird in der verwendeten Fachliteratur und von Experten empfohlen, da sie zur Gestaltung und Struktur des Mauerwerks beitragen können. Wichtig ist, dass das erforderliche Überbindemaß eingehalten wird, unabhängig vom Teilformat der Steine.

Die Anforderungen an den Wilden Verband aus den o.g. Quellen sind uneinheitlich und es herrscht kein Konsens über diese Regeln. Der Versuch, durch Rückfragen bei den Auto­ren oder den herausgebenden Firmen / Verbänden mehr über die Entstehung dieser Regeln zu er­fahren, führte zu wenigen und un­klaren Antworten.

Die recherchierten Quellen setzen unterschiedliche Prioritäten und liefern die Anforderungen ohne ausreichende Erklärung. Nur vereinzelt gibt es Ausschreibungstexte von Ziegelwerken oder Klinkerzentralen, deren Motivation jedoch unklar bleibt. Normen oder Merkblätter von Fachverbänden fehlen bislang zu dieser Thematik.


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