• 18.09.2023

Rechtsprechungstipp: Architekt schuldet Planung für ein Gebäude nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik

  1. Auch wenn die Baubetreuerin im Namen der »Bauherrengemeinschaft[en]« Verträge abschließt und damit die Bauherrengemeinschaften als solche nach außen auftreten, werden die Gesellschafter einzeln verpflichtet und berechtigt. Bei einer Bauherrengemeinschaft stehen daher Gewährleistungsansprüche nur den einzelnen Bauherren zu.
  2. Der planende Architekt schuldet eine Planung für ein den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Gebäude und der Unternehmer ein den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Werk. Ein sogenanntes »Warmdach« mit einer Dicht-Dicht-Konstruktion war nach der DIN 4108-3 zwar bis zum Erscheinen ihrer Neufassung im Jahr 2014 grundsätzlich möglich, jedoch entsprach diese DIN-Norm schon Jahre zuvor aufgrund einer Vielzahl von bekannten Schadensfällen nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik.
  3. Wird einem Architekten für die Ausführungsplanung ein mangelhafter Dachaufbau durch die nicht von ihm erstellte Entwurfs- und Genehmigungsplanung vorgegeben und erstellt er deshalb eine Ausführungsplanung unter Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik, ohne die Auftraggeber darauf hinzuweisen, hat er für die mangelhafte Ausführungsplanung unbeschränkt einzustehen. Denn ein früherer Planungsmangel entbindet den Architekten nicht von der Verpflichtung, die Vorarbeiten – insbesondere die Entwurfsplanung aus Leistungsphase 3 nochmals kritisch zu hinterfragen und etwaige Mängel in der Ausführungsplanung abzuändern.
  4. Ein Mitverschuldenseinwand scheidet aus, wenn nacheinander tätige Architekten Planungsleistungen erbringen. Das gilt insbesondere für den Fall, dass der erste Architekt die Leistungsphasen 1 bis 4 und der zweite Architekt die Leistungsphase 5 und ggf. weitere Leistungsphasen in Auftrag hatte. Sowohl der für die Entwurfsplanung als auch der für die Ausführungsplanung zuständige Architekt tragen die volle Planungsverantwortung, ohne sich durch den jeweils anderen entschuldigen zu können.
  5. Die planerische Mitwirkung eines Sonderfachmannes des Bauherrn entlastet den planenden Architekten durch das Ansetzen eines dem Bauherrn zuzurechnenden Mitverschuldens nicht schlechthin, sondern nur, wenn die konkrete fachspezifische Frage nicht zum zu erwartenden Wissensbereich des Architekten gehört.
  6. Überlässt der Bauherr dem planenden Architekten, wenn auch nur überobligatorisch, fachliche Hinweise und Auskünfte eines Sonderfachmanns zu einem Einzelaspekt der (Dach-) Konstruktion, müssen diese schon im eigenen Interesse des Bauherrn zutreffend sein. Der Bauherr übernimmt mit einer solchen überobligatorischen Auskunft als weitere Obliegenheit die Erfüllung der in diesem Zusammenhang anfallenden Leistungstreuepflichten wie Hinweis- und Aufklärungspflichten. Verletzt er diese Leistungstreuepflichten, weil er auf die sich aus der geplanten Gesamtkonstruktion ergebenden Gefahren und dem damit verbundenen Verstoß der Planung gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik nicht aufmerksam macht, kann ihm der Architekt ein Mitverschulden entgegenhalten.
  7. Eine vertragliche Risikoübernahme durch den Auftraggeber setzt voraus, dass der Auftraggeber Bedeutung und Tragweite des in der Abänderung der Planung liegenden Risikos erkannt hat, was grundsätzlich eine entsprechende Aufklärung durch den Architekten voraussetzt. Hierfür genügt ein Hinweis, dass diese Konstruktion kritisch oder schadensanfällig ist, nicht, erforderlich ist vielmehr der Hinweis, dass bei Verwirklichung des Risikos eines »Warmdaches« die Gefahr groß ist, dass nach 10 bis 15 Jahren die gesamte Dachkonstruktion erneuert werden muss.
  8. Der Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln der Technik und die damit verbundene Schadensneigung begründen einen Mangel des Werks und damit Gewährleistungsrechte, auch wenn noch keine Mangelsymptome aufgetreten sind.


Darum streiten die Parteien

In dem Rechtsstreit klagen die Eigentümer von acht Doppelhaushälften, welche in Bauherrengemeinschaft in den Jahren 2011 und 2012 errichtet wurden. Die 4 Doppelhäuser wurden in 2 Bauabschnitten errichtet: Die Gebäude Nr. 9 bis 15, deren Eigentümer die Kläger zu 9) bis 16) sind, gehörten zum 1. Bauabschnitt, die Gebäude Ziff. 1 bis 7, deren Eigentümer die Kläger zu 1) bis 8) sind, gehörten zum 2. Bauabschnitt. Die Kläger wurden von der Baubetreuerin G. GmbH, welche als Streitverkündete auf Klägerseite dem Rechtsstreit beigetreten ist, vertreten.

Der Bekl. zu 1) war planender und bauüberwachender Architekt, die Bekl. zu 2) wird als Sonderfachmann in Anspruch genommen und der Bekl. zu 3) erstellte die Dachkonstruktion als ausführender Handwerker.

Die Kläger gehen davon aus, dass der Anspruch gegen den Bekl. zu 3) aufgrund eines Planungsfehlers um 75 % zu kürzen ist und machen gegen ihn nur 25 % der behaupteten Mangelbeseitigungskosten geltend. Die G. verkaufte die Grundstücke durch notarielle Verträge an die Bauherren und schloss mit diesen Baubetreuungsverträge ab.

Die Kläger machten auf der Grundlage von im selbständigen Beweisverfahren (Beiakte LG Stuttgart, Az. 12 OH 3/16) eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dipl. Ing. (FH) V. geltend, dass der Dachaufbau – eine sogenannte Dicht-Dicht-Konstruktion, auch »Warmdach« genannt – nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe. Bevor der Bekl. zu 1) die Ausführungsplanung für die beiden Bauabschnitte erstellte, holte die G. eine Stellungnahme der Bekl. zu 2) ein.

Die Kläger machen Vorschuss zur Mangelbeseitigung geltend.


Aus den Gründen (Auszug)

Die Bauherren haben für die beiden Bauabschnitte getrennte Architektenverträge mit dem Bekl. zu 1) abgeschlossen: Der Vertrag für den 1. Bauabschnitt wurde … im Namen der Bauherren abgeschlossen, der Bekl. zu 1) war insofern erst ab der LPh 5 gem. § 33 S. 2 Nr. 5 HOAI 2009 beauftragt, der Vertrag … für den 2. Bauabschnitt umfasste die LPh 1 bis 9. Für beide Verträge gilt die HOAI 2009.

Dass bei Abschluss der beiden Architektenverträge im Namen der Bauherren noch nicht alle Häuser verkauft waren und die Bauherren im Architektenvertrag nicht ausdrücklich genannt wurden, steht dem Zustandekommen eines Vertrags zwischen den jeweiligen Bauherren und dem Bekl. zu 1) nicht entgegen. Denn den beiden Architektenverträgen waren die Grundstücke eindeutig zu entnehmen: Beim Vertrag für den 2. Bauabschnitt waren die Hausnummern der Gebäude ausdrücklich bezeichnet. Dies war beim Vertrag für den 1. Bauabschnitt zwar nicht der Fall; durch die Bezeichnung »1. BA« in Verbindung mit den damals bereits existierenden Genehmigungsplänen waren die Grundstücke, mit deren Bauherren der Vertrag geschlossen werden sollte, im Vertrag jedoch eindeutig bestimmt. Dies genügt für das Zustandekommen eines Vertrags mit den Bauherren der jeweiligen Grundstücke, auch wenn diese ihr Grundstück erst nach Abschluss des Architektenvertrags erwarben.

Das Landgericht hat die Dachkonstruktion zu Recht und für das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 ZPO bindend als mangelhaft angesehen, da sie im Zeitpunkt der Planung und Fertigstellung und Abnahme nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach.

Bei den Dächern handelt es sich um Flachdächer in Holzkonstruktion mit einer extensiven Begrünung und einer raumseitigen Dampfsperre. Eine solche Dicht-Dicht-Konstruktion ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bauphysikalisch kritisch, weil in den Dachraum eingedrungene Feuchtigkeit nicht mehr entweichen kann. Sie entsprach spätestens ab dem Jahr 2011 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Der Architekt ist bei der Ausführungsplanung im Rahmen der LPh 5 gem. § 33 S. 2 Nr. 5 HOAI 2009 verpflichtet, die wesentlichen Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Bauphysik und er muss die allgemein anerkannten Regeln der Technik beachten. Auch bei der Objektüberwachung muss der Architekt auf die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik achten. Der ausführende Unternehmer schuldet die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik im Zeitpunkt der Abnahme, auch wenn sich die allgemein anerkannten Regeln der Technik zwischen Vertragsschluss und Abnahme ändern. Es ist daher denkbar, dass der mit den LPh 5 und 8 beauftragte Architekt bei Erstellung der Planung entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik plant und dass diese Planung bis zur Abnahme der Werkleistung des ausführenden Unternehmers aufgrund einer Verschärfung der allgemein anerkannten Regeln der Technik nachträglich mangelhaft wird. Da auch der Architekt ein mangelfreies Werk im Zeitpunkt der Abnahme schuldet, muss er eine während Planung und Abnahme eintretende Verschärfung der allgemein anerkannten Regeln der Technik jedenfalls im Rahmen der Überwachung der Ausführung sowie der Mitwirkung bei der Abnahme berücksichtigen, zumal er im Rahmen der Objektüberwachung die Planung überprüfen muss.

Die allgemein anerkannten Regeln der Baukunst/Technik stellen die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen dar, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind. Es reicht aus, wenn eine große Mehrheit der maßgebenden Fachkreise von ihrer Richtigkeit und von der Anwendbarkeit in der Praxis ausgeht.

Nach dem unbestrittenen Vorbringen des Bekl. zu 1) erbrachte er seine Planungsleistungen für den 1. Bauabschnitt im Frühjahr 2011 und für den 2. Bauabschnitt am 20.11.2011. Die Gebäude des 1. Bauabschnitts wurden am 22.2. und 2.3.2012 und die Gebäude des 2. Bauabschnitts am 15.7.2013 abgenommen.

Die streitgegenständliche Dachkonstruktion entsprach bereits im Zeitpunkt der Planung im Jahr 2011 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Im Winter 2012/13 wurden bei den Häusern Undichtigkeiten in den Pultdächern festgestellt. Die Kläger holten ein Gutachten des Sachverständigen B. ein), wonach der Trockenbauer hierfür verantwortlich war. Der Bekl. zu 1) veranlasste die Beseitigung dieser Mängel im Jahr 2015. Dabei wurden nach dem unbestrittenen Vorbringen der Kläger großflächige Durchfeuchtungen und an allen Häusern Feuchtigkeit an verschiedenen Stellen festgestellt, die unabhängig von den festgestellten Ausführungsfehlern des Trockenbauers waren.

Die Kläger leiteten ein selbständiges Beweisverfahren gegen die drei Beklagten ein (Beiakte 12 OH 3/16), in dem der Sachverständige V. beauftragt wurde. Dieser nahm am 31.5.2015 Öffnungen des Dachs im Gebäude 5 / 7 (2. BA) und 15 / 13 (1. BA) vor und stellte zu diesem Zeitpunkt zwar »keine umfängliche und großflächige« Durchfeuchtung, aber doch erhebliche Feuchtigkeit fest.

Er sah als Ursache für die erkennbaren Auffeuchtungen eine nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechende Dachkonstruktion an.

Die Problematik dieser Konstruktion hat der Sachverständige wie folgt beschrieben:
»Bei den Dächern handelt es sich um Flachdächer in Holzkonstruktion mit extensiver Begrünung, sowie einer raumseitigen Dampfsperre. Diese so genannten ›Dicht-Dicht-Konstruktionen‹ sind bauphysikalisch kritisch, da die Dachabdichtung in Verbindung mit einer extensiven Begrünung eine de facto dampfdichte Oberlage herstellt.

Die raumseitig oberhalb der Gipskarton- Beplankung eingebaute Dampfsperre weist einen ähnlich hohen Diffusionswiderstand auf, sodass in den Dachraum eingedrungene Feuchtigkeit nicht mehr entweichen kann. In der Folge reichert sich die eingedrungene Feuchtigkeit insbesondere in den Holzbauteilen an; werden über längere Zeiträume hohe Holzfeuchten erreicht, kann es zum Wachstum von holzzerstörenden Pilzen kommen. Üblicherweise wird zunächst die Schalung, im Anschluss dann aber auch die tragende Konstruktion in Mitleidenschaft gezogen.«

Der Sachverständige führte weiter aus, dass eine solche Dicht-Dicht-Konstruktion nach der DIN 4108-3 bis zum Erscheinen ihrer Neufassung im Jahr 2014 grundsätzlich möglich gewesen sei, die DIN-Norm habe jedoch schon zuvor aufgrund einer Vielzahl von bekannten Schadensfällen nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen. Dies sei spätestens seit Februar 2012 der Fall, weil zu diesem Zeitpunkt der Teil 2 der DIN 68800 in überarbeiteter Fassung vorgelegt worden sei. Da von der Abfassung der Neufassung der DIN 68800 bis zu ihrem Erscheinen mindestens 12 Monate vergangen seien, sei dies deutlich vor dem Erscheinen im Februar 2012 bekannt gewesen.

Der Sachverständige begründete seine Auffassung, dass diese Art der Ausführung schon vor Februar 2012 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe, mit folgenden Publikationen:

In einer Publikation des Informationsdienstes Holz aus 2008 werde ausgeführt:
»Unbelüftete Flachdachkonstruktionen mit Dämmung in der Tragebene können bisher nicht nach Norm in die Gefährdungsklasse 0 eingestuft werden. Der Grund hierfür liegt in der zum Zeitpunkt der Normerstellung vorherrschenden Bautechnik. Ein übermäßiger Feuchteeintrag durch nasses Bauholz oder mangelhafte Luftdichtung kann zu unkontrollierbaren Auffeuchtungen im Bauteilinneren führen.«

2009 habe Oswald in der Fachzeitschrift Deutsche Bauzeitung ausgeführt:
(…). Es wird übersehen, dass Regelwerke nicht mit den anerkannten Regeln der Bautechnik deckungsgleich sind, Regelwerke können deutlich dahinter zurückbleiben und fehlerhaft sein. Dies ist hinsichtlich des »klimabedingten Feuchteschutzes« nach DIN 4108 Teil 3 bei vielen Formen des unbelüfteten Holzdachs der Fall. Da die Schadensfolgen schwerwiegend sind – die Holzkonstruktionen können völlig verrotten – kann man nicht oft genug vor dampfdicht eingepackten Holzkonstruktionen warnen. So geschehen bereits 1993 im Beitrag »Theorie und Praxis des unbelüfteten Steildachs« im Hinblick auf Steildachbausätze (db 1/ 1993). 2002 wurden Dächer mit Schieferdeckungen beschrieben, die aufgrund der Unterschreitung der Regeldachneigung mit unbelüfteten, wasserdichten Unterdächern konstruiert wurden (db 7/ 2002), und in db 1/ 2004 die schweren Schäden an unbelüfteten, mit Bleiblech gedeckten Dächern dargestellt. (…)«

Die umfassende Kenntnis der aufgetretenen Schadensfälle habe schließlich dazu geführt, dass die Referenten beim Kongress ›Holzschutz und Bauphysik‹ im Jahr 2011 ein Konsenspapier bezüglich unbelüfteter Flachdächer in Holzbauweise abgefasst hätten, in dem es u. a. heiße:
»Der Einbau von Dampfsperren (sd ≥ 100 m) in außenseitig dampfdichten Holzkonstruktionen entspricht nicht mehr den Regeln der Technik. Sie unterbinden die sommerliche Umkehrdiffusion, die zur Trocknung des winterlichen Feuchteeintrags aus Dampftransport per Luftströmung (Konvektion) durch unvermeidliche Restleckagen erforderlich ist.

Dabei seien die »sieben goldenen Regeln für ein nachweisfreies Flachdach« formuliert worden, von den bei den streitgegenständlichen Gebäuden drei nicht erfüllt (insbesondere eine feuchtevariable Dampfbremse, die aufgrund der hier eingebauten Dampfsperre hier nicht gegeben ist) und drei unbekannt seien.

In der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2020 erläuterte der Sachverständige, dass der für Holzbau und Holzschutz vereidigte Sachverständige M. bei einer Tagung 2016 darauf hingewiesen habe, dass sich diese Erkenntnisse bereits im Jahr 2009 bei Planern und Ingenieuren durchgesetzt haben müssten.

Es sei zwar theoretisch (»unter Laborbedingungen«) möglich, eine solche Konstruktion so dicht zu erstellen, dass keine Feuchtigkeit hineinkomme. Unter Realbedingungen auf der Baustelle sei es aber praktisch unmöglich, alle Anschlüsse dauerhaft dicht herzustellen, da diese Art und Weise der Dachkonstruktion »praktisch null Toleranz für Fehler« habe. Dies führe dazu, dass mit der Zeit Feuchtigkeit eindringe, die wegen der dichten Konstruktion nicht mehr vollständig entweichen könne und damit mit fortdauernder Zeitdauer zu einem steigenden Feuchtigkeitsgehalt in der Konstruktion führe.

Im Hinblick auf die Feststellungen bei den am 31.5.2017 durchgeführten Bauteilöffnungen führte der Sachverständige aus, dass zwar eine großflächige Durchfeuchtung nicht habe festgestellt werden können; dies sei jedoch nicht überraschend, da die Feuchtigkeit in der Regel in der warmen Jahreszeit zurückgehe; im Ergänzungsgutachten vom 30.4.2018 ergänzte er, dass aufgrund der im Mai 2017 festgestellten Feuchtigkeit angenommen werden könne, dass die Dachkonstruktion im Winter 2016/17 durchfeuchtet gewesen sei.

Zur Prognose sei festzuhalten, dass die Feuchtigkeit weiter ansteigen und sich somit die Konstruktion zunehmend in einen kritischen Feuchtebereich verlegen werde. Die zunehmende Feuchtigkeit hat der Sachverständige … mit einem Simulationsprogramm prognostiziert. Die Anreicherung der Feuchtigkeit kumuliere im Lauf der Jahre, was nach einer Dauer von 10 bis 15 Jahren in den kritischen Bereich führen könne, wenn eine Porenluftfeuchte erreicht werde, die das Wachstum holzzerstörender Pilze begünstige. Damit sei die Konstruktion bauphysikalisch nicht dauerhaft funktionsfähig. In der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2020 erklärte er, die Dächer seien »dem Tode geweiht«.

Die Feuchtigkeit könne nicht schon bei der Erstellung eingedrungen sein, da in diesem Fall am Holz erkennbare Wasser- und Wasserablaufspuren vorliegen müssten, die er bei den Öffnungen nicht festgestellt habe.

Gegen die Ansicht des Sachverständigen, die Dicht-Dicht-Konstruktion habe bereits 2011 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen, wendet sich vor allem die Bekl. zu 2). Der Bekl. zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2020 eingeräumt, dass ihm bekannt gewesen sei, dass die Konstruktion schadensanfällig sei, er habe sich auf die als Anlage K4 vorgelegte Einschätzung der Bekl. zu 2) verlassen.

Die Bekl. zu 2) macht geltend, dass nicht belüftete Dächer bis zur Neufassung der DIN 4108-3 im November 2014 zulässig gewesen sei. Zu berücksichtigen sei die Vermutung, dass die DIN-Norm den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche. Das OLG Hamm sei in der Entscheidung 24 U  4/20 davon ausgegangen, dass ein solches »Warmdach« bei Einhaltung handwerklicher und planerischer Sorgfalt noch 2015 zulässig gewesen sei, ebenso das Landgericht Würzburg in einer in IBR 2018, 1053 veröffentlichten Entscheidung.

Das Landgericht hat sich zutreffend und für den Senat gem. § 529 Abs. 1 ZPO bindend die Überzeugung gebildet, dass die hier geplante und ausgeführte Dachkonstruktion im Zeitpunkt der Planung (2011) und Ausführung (bis 2012) nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach.

Die Beklagte verweist zwar zutreffend darauf, dass eine Vermutung dafür besteht, dass kodifizierte technische Normen wie solche nach der DIN die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, weil diese Regelwerke zumeist auf Grund der vorherrschenden Ansicht der technischen Fachleute erstellt worden sind. Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar insbesondere dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Norm veraltet oder überholt ist.

Dafür, dass die DIN 4108-3 spätestens bei Veröffentlichung der Neufassung der DIN 68800 im Februar 2012 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen hat, spricht schon, dass die Neufassung der DIN 68800 eine solche Ausführung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erlaubte. Der Sachverständige hat sich zwar nicht ausdrücklich zum Verhältnis dieser beiden DIN-Normen geäußert, aber nach den Anwendungsbereichen der beiden Normen (4108-3: Planung und Ausführung zum klimabedingten Feuchteschutz in Gebäuden – DIN 68800: Bemessung und Konstruktion von Hochbauten und Ingenieurbauwerken aus Holz) sind im vorliegenden Fall beide zu berücksichtigen. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Neufassung der DIN 68800 über einen Zeitraum von 12 Monaten entwickelt worden sei, was dafürspricht, dass die Vermutung, dass die unverändert fortbestehende DIN 4108-3 Mitte 2011 noch den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach, durch die parallele Entwicklung einer verschärften Regelung zumindest entkräftet wurde.

Die Bekl. zu 2) hat eine Reihe von Quellen / Argumentationen gegen die Ausführungen des Sachverständigen vorgebracht, die der gerichtliche Sachverständige im schriftlichen Gutachten vom 24.5.2021 mit überzeugender Begründung entkräftet hat:
In der … Dissertation von Bednar (veröffentlicht März 2012) werde auf eine Vielzahl von Publikationen aus den Jahren 1958 bis 2009 verwiesen, die bestätigten, dass die Problematik keine neue sei; in einer zitierten Veröffentlichung aus dem Jahr 2007 wird ausdrücklich auf das fehlende Rücktrocknungspotential und das hohe Schadensrisiko solcher Gründächer hingewiesen. Der Sachverständige verweist weiter auf eine in der Dissertation besprochene Untersuchung aus 2010, bei der es in 48 % der untersuchten Dachaufbauten zu Feuchteschäden gekommen sei.

[…]

Der Sachverständige V. führt hierzu aus, dass es durchaus Dächer gebe, die eigentlich nicht funktionieren dürften, aber keine Schäden aufweisen. Ein solcher Ausnahmefall sei vorliegend nicht gegeben, da bei den Bauteilöffnungen Auffeuchtungen festgestellt worden seien. Diese Bauart habe ein sehr hohes Gefährdungspotenzial, es gebe »praktisch null Toleranz für Fehler«.

[…]

Zusammengefasst ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen V., dass die hier ausgeführte Dicht-Dicht-Dachkonstruktion ab 2009, spätestens 2011 nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach. Die Ausführungen in den Publikationen von Oswald und M. sind eindeutig und werden für die Jahre 2011 und 2012 durch die von der Bekl. zu 2) vorgelegten Veröffentlichungen von Zöller bestätigt. Aus den übrigen von der Bekl. zu 2) vorgelegten Publikationen ergibt sich zwar nicht ausdrücklich, dass diese Konstruktion nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspreche, sie bestätigen jedoch deutlich die vom Sachverständigen V. geschilderte Problematik dieser Konstruktion und das damit verbundene Risiko. Damit hat sich diese Konstruktion ausweislich dieser Publikationen in der Vergangenheit gerade nicht bewährt und entsprach damit nicht (mehr) den allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Auf dieser Grundlage durfte ein (Fach-)Planer eine solche Konstruktion nicht planen, ohne ausdrücklich auf das damit verbundene Risiko hinzuweisen. Dafür genügt nicht der Hinweis, dass diese Konstruktion kritisch oder schadensanfällig ist, erforderlich wäre vielmehr der Hinweis, dass bei Verwirklichung dieses Risikos die Gefahr groß ist, dass nach 10 bis 15 Jahren die gesamte Dachkonstruktion erneuert werden muss.

Der Bekl. zu 1) haftet gem. §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB für die durch diesen Mangel verursachten Schäden.

Der Bekl. zu 1) schuldete als planender Architekt ein den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Gebäude. Da dies hinsichtlich der Dachkonstruktion nicht der Fall ist, war die Leistung mangelhaft i. S. d. § 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 BGB.

Der Bekl. zu 1) hat die mangelhafte Planung zu vertreten (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen musste nicht nur ein Fachplaner, sondern auch jeder ein Gebäude planende Architekt spätestens ab dem Jahr 2011 wissen, dass der geplante und realisierte Dachaufbau nicht mehr den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach. Der Sachverständige führte in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2020 unter Berufung auf die Publikationen von Oswald (2009) und M. (2016) aus, dass sich die Erkenntnisse über die Problematik dieser Konstruktion bereits im Jahr 2009 bei Planern und Ingenieuren hätte durchgesetzt haben müssen und verwies darauf, dass die Deutsche Bauzeitung, in der der Artikel von Oswald 2009 erschien, »jeder Architekt haben sollte«. Der Beklagte zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt, gewusst zu haben, dass sich die geplante Konstruktion in manchen Ausführungen als mangelhaft erwiesen hat. Er wusste also um das mit der Konstruktion verbundene Risiko und hat sie dennoch geplant.

[…]

Der Bekl. zu 3) haftet als ausführender Handwerker für die mangelhafte Dachkonstruktion jedenfalls in Höhe der von den Klägern geltend gemachten 25 % des durch den Mangel verursachten Schadens. […] Der Umstand, dass der Dachaufbau nicht den allgemein an erkannten Regeln der Technik entspricht, begründet auch einen Mangel der Werkleistung des Bekl. zu 3).

[…]


OLG Stuttgart, Urteil vom 28.03.2023, Az. 10 U 29/22


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