BauSV 6/2022

Rechtsprechungs-Report | Sachverständigenrecht


Eva-Martina Meyer-Postelt


Zur Würdigung von Privatgutachten neben Gerichtsgutachten


1. Das Gericht ist verpflichtet, sich mit von einer Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt.

2. Legt eine Partei ein Privatgutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert. Er darf in diesem Fall – wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt.

3. Die fehlende Auseinandersetzung im angefochtenen Urteil mit einem dem Gerichtsgutachten widersprechenden Privatgutachten kann in der Rechtsmittelinstanz nachgeholt werden, wenn das Gerichtsgutachten hierfür ausreichenden Anhalt bietet; einer Wiederholung der Beweisaufnahme bedarf es dann nicht.

OLG Dresden, Beschluss vom 12.8.2022 – 4 U 583/22


Zum Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten u.a. materiellen sowie immateriellen Schadensersatz wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung. Zur Untermauerung seines Sachvorwurfs legt der Kläger ein in seinem Auftrag erstelltes Privatgutachten vor. Das Gericht erhebt Beweis und holt ein Gerichtsgutachten ein. Der Gerichtsgutachter bestätigt den von dem Kläger behaupteten Behandlungsfehler, den der Privatgutachter bejaht hat, nicht. Das Landgericht weist die Klage ab. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.


Aus den Gründen

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Landgericht ist im Ergebnis seiner Beweiswürdigung zu Recht zu der Feststellung gelangt, dass ein Behandlungsfehler nicht vorliegt. Die Berufung zeigt keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen auf, die eine weitere Beweisaufnahme geböten. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, das Landgericht habe sich nicht ausreichend mit dem von ihm vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt und die Widersprüche in den Ausführungen zwischen dem gerichtlich bestellten Sachverständigen und dem Privatgutachter nicht aufgeklärt.

Zwar hat das Gericht in Arzthaftungsprozessen die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhaltes hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt. Legt eine Partei ein medizinisches Gutachten vor, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlich bestellten Sachverständigen steht, so ist vom Tatrichter besondere Sorgfalt gefordert.

Er darf in diesem Fall – wie auch im Fall sich widersprechender Gutachten zweier gerichtlich bestellter Sachverständiger – den Streit der Sachverständigen nicht dadurch entscheiden, dass er ohne einleuchtende und logisch nachvollziehbare Begründung einem von ihnen den Vorzug gibt. Vorliegend lässt sich dem angefochtenen Urteil eine solche Auseinandersetzung nicht entnehmen. Diese war auch nicht entbehrlich, obwohl sich der gerichtlich bestellte Sachverständige in seinem Gutachten mit der zu seiner Auffassung im Widerspruch stehenden Auffassung des Privatgutachters eingehend auseinandergesetzt hatte.

Die fehlende Würdigung des Landgerichts kann der Senat hier jedoch ohne Weiteres nachholen. Im Ergebnis dessen ist daher im vorliegenden Berufungsverfahren eine weitere Beweiserhebung, beispielsweise durch Einholung eines Obergutachtens, nicht veranlasst. Denn das vom Kläger eingereichte Privatgutachten ist bereits aus sich heraus nicht überzeugend. 


Anmerkung

Bei dieser Entscheidung handelt es sich um einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO. Der Senat hat die Parteien damit darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, die zulässige Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen.

Dieses Vorgehen ist in der ZPO vorgesehen, wenn der befasste Senat zu der Überzeugung gelangt, dass eine Berufung in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet und die Rechtssache auch weder grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil durch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung verlangt ist, und auch andere Gründe eine mündliche Verhandlung nicht gebieten.

Letztlich sind es in einem solchen Fall Kostengründe, wenn ein Senat in diesem Zusammenhang zur Rücknahme der Berufung rät, die dem Berufungskläger zwei Gerichtsgebühren erspart. Der Beschluss selbst ist – obwohl zu einem medizinischen Sachverhalt ergangen – auf baurechtliche Streitigkeiten mit ähnlich gelagerter Problematik sich widersprechender Gutachten mehrerer Sachverständiger, die in Bauprozessen durchaus öfter vorkommt, übertragbar.

Auch in Bauprozessen hat das Gericht die Pflicht, sich mit von den Parteien vorgelegten Privatgutachten auseinanderzusetzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhaltes hinzuwirken, wenn sich daraus Widersprüche, insbesondere zu einem Gerichtsgutachten ergeben. Gleiches gilt, wenn mehrere Gerichtsgutachten vorliegen, mit denen unterschiedliche Beurteilungsergebnisse präsentiert werden, soweit diese Unterschiede entscheidungserheblich sind.

Im vorliegenden Fall hat das OLG zwar eine ordnungsgemäße Auseinandersetzung und Bewertung des Landgerichts in Bezug auf die unterschiedlichen Gutachten vermisst, also einen Fehler in erster Instanz konstatiert. Dieser Fehler war aber im Ergebnis nicht entscheidungserheblich, wie das OLG im Rahmen der von ihm nachgeholten Beweiswürdigung beider Gutachten dargetan hat.

EMMP


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