DER BAUSV 1/2020

Eva-Martina Meyer-Postelt


Zur Bauteilöffnung im Beweisverfahren

Sachverständigenrecht


1. Wird in einem selbständigen Beweisverfahren die Fortführung des Verfahrens beantragt, nachdem ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter eine notwendige Bauteilöffnung abgelehnt hat, ist die Entscheidung über die Zurückweisung dieses Antrags mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

2. Eine Bohrkernentnahme kann nicht dadurch erzwungen werden, dass das Gericht gegenüber einem am Verfahren nicht beteiligten Dritten die Duldung der Bauteilöffnung anordnet.

OLG München, Beschluss vom 12.12.2019 – 20 W 1503/19


Zum Sachverhalt

Der Antragsteller erwarb sechs Tiefgaragenplätze in einem Neubauprojekt und wurde dadurch Mitglied einer WEG. In seinem Auftrag nehmen zunächst Privatgutachter Messungen und Proben am Tiefgaragenboden vor. Danach macht der Antragsteller gegen ein externes Unternehmen im selbständigen Beweisverfahren Mängel des Tiefgaragenbodens geltend. Die WEG wird an dem Beweisverfahren nicht beteiligt. Das Landgericht erließ einen Beweisbeschluss, mit dem es den Sachverständigen P mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte. Der Sachverständige teilte mit, dass er beabsichtige, 3 bis 5 Bohrkerne in der Bodenplatte zu ziehen. Die WEG lehnte die Bauteilöffnung ab. Daraufhin teilte der Sachverständige P u.a. mit, dass er ohne Bauteiluntersuchung keine verwertbaren Sachverständigenergebnisse liefern könne. Das Landgericht erklärt das Beweisverfahren daraufhin für beendet.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren gleichwohl fortzusetzen sei. Insbesondere möge der Sachverständige auf Untersuchungen von Betonbohrkernen durch den Privatgutachter sowie auf dessen Messungen der Betondeckung zurückgreifen, die Grundlage der vorgelegten Privatgutachten geworden seien. Das Beweisverfahren könne auch ohne eigene Bauteilöffnung durch den Gerichtssachverständigen durchgeführt werden. Das Landgericht sieht das anders und führt zur Begründung aus, dass mangels Zustimmung der WEG eine Bauteilöffnung nicht möglich sei, so dass keine verwertbaren Ergebnisse des gerichtlichen Sachverständigen geliefert werden können. Gegen diesen Beschluss legt der Antragsteller sofortige Beschwerde ein, mit dem Antrag, das Beweisverfahren fortzusetzen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und ordnet die Vorlage der Akten an das OLG zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde an. Diese hat im Ergebnis keinen Erfolg.


Aus den Gründen

Die sofortige Beschwerde ist statthaft, allerdings unbegründet. Da die Bohrkernentnahme nicht dadurch erzwungen werden kann, dass das Gericht der am Verfahren nicht beteiligten WEG gegenüber die Duldung der Bauteilöffnung anordnet, muss sie unterbleiben.

Gleichzeitig hat der Sachverständige mehrfach mitgeteilt, dass er die Ziehung der Bohrkerne selber durchführen müsse, um für sein Gutachten verwertbare Ergebnisse zu erzielen. Ohne eigene Bauteiluntersuchung sei dies nicht möglich. Zudem hatte die Antragsgegnerin alle vom Antragsteller behaupteten Anknüpfungstatsachen bestritten. Wenn der Gerichtssachverständige der Meinung ist, für seine Beurteilungen nicht auf ein vorgelegtes Privatgutachten bzw. Messungen Dritter zurückgreifen zu können, ist das – unabhängig vom Bestreiten der Antragsgegnerin – hinzunehmen. Folglich muss die beantragte weitere Beweiserhebung im selbständigen Beweisverfahren unterbleiben.

Dem Gericht fehlt im Übrigen schlicht die erforderliche Sachkunde, um beurteilen zu können, ob die vom Antragsteller/Beschwerdeführer beantragte Beweiserhebung in der Form überhaupt möglich und sinnvoll ist. Es darf und muss sich dagegen darauf verlassen, dass die Angabe des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zutreffend ist, er müsse die Bohrkerne selber ziehen bzw. eine eigene Bauteiluntersuchung durchführen, um verwertbare und neutrale Ergebnisse zu liefern. (Weitere) Beweisergebnisse können somit nicht mehr geliefert werden. Das selbständige Beweisverfahren ist daher beendet.


Anmerkung

Wie bereits im Rechtsprechungs-Report in »Der Bausachverständige«, Heft 5/2019, zum dort kommentierten Beschluss des OLG Celle vom 31.1.2019 (8 U 180/18) dargelegt, soll ein Gericht grundsätzlich nicht befugt sein, einen Bausachverständigen gemäß § 404a Abs. 1 ZPO zu einer Bauteilöffnung zu verpflichten. Diese Frage wird allerdings bei verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich entschieden, weshalb derzeit beim BGH eine Revision anhängig ist, zu der aber noch keine Entscheidung vorliegt.

Im hier entschiedenen Fall liegt der Sachverhalt allerdings insofern besonders, als die Bauteilöffnung auf einem – fremden – Grundstück vorzunehmen ist, dessen Eigentümer nicht (alle) Beteiligte des Beweisverfahrens sind. Es bestehen allerdings Zweifel, ob die Entscheidung zutreffend ist. Das folgt einerseits aus § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Danach kann im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens auch einem daran im Übrigen nicht beteiligten Dritter die Duldung von Maßnahmen aufgegeben werden, sofern nicht die Wohnung dieses Dritten betroffen ist.

Da § 144 Abs. 1 Satz 3 ZPO auch im Beweisverfahren Anwendung finden dürfte, hätte sich das Gericht jedenfalls mit der Frage beschäftigen müssen, ob eine Tiefgarage noch zur Wohnung zählt. Des Weiteren erscheint die vom Beweisgericht beschlossene Beendigung des Beweisverfahrens andererseits auch als eine erhebliche Verkürzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers, die nicht gerechtfertigt erscheint, und damit bedenklich ist.                    

EMMP


Weitere Urteile finden Sie in der Februar-Ausgabe von »Der Bausachverständige«.
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