Eva-Martina Meyer-Postelt


Zur Anhörung eines Sachverständigen

Sachverständigenrecht


Wird dem gestellten Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht entsprochen, wird dadurch der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

BGH, Beschluss vom 20.11.2019 – VII ZR 204/17


Zum Sachverhalt

Die Klägerin verlangt restlichen Werklohn für erbrachte Rohbauarbeiten für ein städtisches Nahversorgungszentrum aufgrund eines Bauvertrags mit dem Beklagten. Der Beklagte hat die Abnahme mangels Abnahmereife infolge gravierender Mängel abgelehnt. Die Klägerin hat gleichwohl die Schlussrechnung gestellt und daraus die Schlusszahlung von ca. 370.000 Euro verlangt. Im Rechtsstreit behauptet die Klägerin, dass der Beklagte ihr Werk inzwischen abgenommen hat, indem er das fertiggestellte Objekt in Betrieb genommen hat.

Der Beklagte hat – gestützt auf diverse Mängel und die Behauptung, dass er das nicht abnahmereife Werk der Klägerin gerade nicht abgenommen hat – Klageabweisung verlangt. Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit welcher sie hauptsächlich begehrt hat, den Klageanspruch dem Grunde nach für begründet zu erklären, und hilfsweise hat sie Abschlagszahlung verlangt. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung beim OLG hat die Klägerin an offenen Stoßfugen in der Verblendmauerschale und an Rissen im Mauerwerk weitergearbeitet und schließlich behauptet, sie habe insoweit vollständig nacherfüllt.

Die Frage, ob die Verankerung des Verblendmauerwerks sowie die Stürze und Wände wegen Rissen aus technischer Sicht so wesentlich mangelhaft sind, dass das Werk der Klägerin noch immer nicht als abnahmereif anzusehen ist, hat das OLG als entscheidungserheblich angesehen und deshalb Beweis erhoben und einen Sachverständigen beauftragt. Der Sachverständige hat einen Ortstermin durchgeführt. Danach hat das OLG seinen Beweisbeschluss geändert und dem Sachverständigen die Frage gestellt, ob das Werk der Klägerin nach den von ihm insbesondere in dem Ortstermin gewonnenen Erkenntnissen aus technischer Sicht abnahmereif sei oder nicht.

Der Sachverständige hat daraufhin sein Gutachten erstattet. Die Klägerin hat die mündliche Anhörung des Sachverständigen beantragt und das OLG hat diesem Antrag entsprochen und die Anhörung zunächst angeordnet. Kurz danach hat das OLG den Sachverständigen mit dem Hinweis wieder abgeladen, dass die von den Parteien angekündigten Fragen oder Vorhalte aus Sicht des OLG nicht entscheidungserheblich wären. Das OLG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin, die nach Zulassung der Revision ihre vorinstanzlichen Anträge weiterverfolgen möchte.


Aus den Gründen

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht rügt, den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es dem in der Berufungsinstanz gestellten Antrag der Klägerin auf mündliche Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens nicht entsprochen hat.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift verlangt auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu gehört der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen. Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfach-rechtlich nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs.

Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet. So liegt es hier. Das Berufungsgericht hat den Sachverständigen nicht zur Erläuterung des im Auftrag des Berufungsgerichts erstellten Gutachtens mündlich angehört, obwohl die Klägerin das beantragt hatte.

Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO.

Beschränkungen des Antragsrechts können sich allenfalls aus den Gesichtspunkten des Rechtsmissbrauchs oder der Prozessverschleppung ergeben. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein derartiger Ausnahmefall hier in Betracht käme. Auf diesem Verfahrensverstoß beruht das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts auch. Das Berufungsgericht stützt die Zurückweisung der Berufung der Klägerin auch auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen. Es ist nicht auszuschließen, dass es nach einer Anhörung des Sachverständigen zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre.


Anmerkung

Der BGH hat auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Zurückverweisung dem OLG die Gelegenheit gibt, sich gegebenenfalls auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin gegen die Behandlung des Hilfsantrags auseinanderzusetzen. Der BGH hat in diesem Zusammenhang vorsorglich darauf hingewiesen, dass die hilfsweise Geltendmachung eines Abschlagszahlungsantrags auch dann in Betracht kommt, wenn das Entstehen der Abschlagszahlungsansprüche nicht außer Streit ist.

Gegenteiliges könne dem Urteil des BGH vom 15.6.2000, VII ZR 30/99, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, nicht entnommen werden. Vielmehr hat der BGH in dem genannten Urteil ausgeführt, lägen keine Teilabnahmen vor, werde die dortige Klägerin ihr Hilfsbegehren auf Abschlagszahlung näher darzulegen haben.

EMMP


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