Diagramm 1: Mündungsgeräusch eines Heizkessels (Messung im Schlafzimmer)

Sabine Wirth, Stefan Wirth


Anwendbarkeit neuer technischer Regeln und Verordnungen der technischen Gebäudeausrüstung in Gerichtsgutachten

Teil 1: Erleichtert die neue DIN 4109 die Beurteilung gebäudetechnischer Geräusche? Ja, mit Einschränkungen!


Die Autoren (Anwältin und Sachverständiger) werden in fünf Teilen (Schallschutz, Hygiene, Brandschutz, Abdichtung und Wärmeschutz / Energieeinsparung) die Probleme bei der Anwendung moderner technischer Regeln und Verordnungen aus dem Fachgebiet der technischen Gebäudeausrüstung für die Gutachtenserstattung aufzeigen. Teil 1 beschäftigt sich mit der zwischen 2016 und 2020 novellierten DIN 4109.

Die Novellierung erleichtert Anwälten und Sachverständigen die Beurteilung bauakustischer Fragestellungen. Allerdings sind einige wichtige Details noch nicht abschließend behandelt, sodass auch weiterhin die Anwendung der Normenreihe DIN 4109 nicht ohne inhaltliche Diskussionen möglich sein wird. Die Autoren zeigen mit mehreren Fallbeispielen die immer noch vorhandenen Probleme in der Anwendung der DIN 4109 auf.


Anforderungsniveau 2016/2018 vs. 1989

DIN 4109-1:1989-11 forderte in Abschnitt 2.2 eine Messung der Geräusche der Wasserinstallationen nach DIN 52219 als LIn und die Messung aller anderen Geräusche als LAF [1][2]. Die Indizierung der Messgröße LIn weist auf eine Normierung auf das Raumvolumen und die Nachhallzeit hin. Für die Messung des LAF wird eine A-Bewertung bei einer Einstellung des Schallpegelmessers in die Stellung F für »Fast« als maximales Geräusch durchgeführt.

Im Gegensatz zum Installationsschallpegel war keine Normierung über die Nachhallzeit und die Raumgröße (»Eigendämpfung«) zwingend gefordert, sondern lediglich empfohlen (in Anlehnung an DIN 52219). Der Messort wurde meist in der Raummitte in Anlehnung an DIN 52219 gewählt. Damit waren früher zwei unterschiedliche Messvorschriften gegeben (Installationsgeräusche und andere Geräusche technischer Einrichtungen).

Die Grenzwerte der DIN 4109-1:1989-11 (ohne Beachtung des Beiblatts 2) haben die Lebenswirklichkeit in Bezug auf den Komfortanspruch nur unzureichend abgebildet. Von Juristen war daher die DIN 4109 in der Fassung von November 1989 nicht mehr akzeptiert worden [3]. Häufig wurde als Ersatz die VDI 4100 herangezogen.

Die VDI 4100:2012-10 hat auf Grundlage der DIN EN ISO 10052 nicht mehr den LAF sondern mit niedrigeren Grenzwerten für mittlere und hohe Komfortansprüche den LAF,max,nT eingeführt [4] [5]. Hierunter wird die Messung des A-bewerteten maximalen Schalldruckpegels an drei Stellen im Raum und eine anschließende Mittelwertbildung verstanden (siehe Gl. 1).

Eine der drei Messungen ist in der schallhärtesten Raumecke durchzuführen. Der auf diese Weise gebildete Mittelwert ist um das Nachhallmaß zu korrigieren (siehe Gl. 2 und 3). Die Messung nach VDI 4100 war also in technischer Hinsicht nicht mit der Messung nach DIN 4109-1:1989-11 vergleichbar.

Mit der Fassung der DIN 4109-1:2016-07 und mit der zwei Jahre später erschienenen Novellierung der DIN 4109-1:2018-01 wurden die Grenzwerte im Wesentlichen zahlenmäßig beibehalten (siehe Tabelle 1; [6] [7]). Allerdings änderte sich die Messvorschrift. Die Neufassungen der DIN 4109-1 übernehmen nicht die Messvorschrift der VDI 4100 und auch nicht die Messvorschrift der DIN EN ISO 10052. In Tabelle 9, Fußnote C wird »abweichend von DIN EN ISO 10052:2010-10, 6.3.3 […] auf Messung in der lautesten Raumecke verzichtet«.

Für die Mittelwertbildung wird also das lauteste Geräusch nicht beachtet. Außerdem ist der Messwert im Gegensatz zu VDI 4100 noch um die Bezugnahme auf die Bezugsabsorptionsfläche im Empfangsraum zu dem Wert LAF,max, n zu korrigieren (siehe Gl. 3 und 4). Hierbei sind alle Geräusche (Installationsgeräusche und Geräusche anderer technischer Anlagen) gleich zu behandeln.

Diese Messvorschrift ist auf Vergleichsmessungen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zurückzuführen, die im Bereich der Raumecken ein ausgeprägtes Hallfeld bei niedrigeren Frequenzen nachgewiesen hat, das gegenüber dem Mittelwert im Raum eine Abweichung bis zu 6 dB aufweisen kann [8].

Die Messwertaufbereitung nach DIN 4109-1:2018-01 im Zusammenhang mit DIN 4109-4:2016-07 [9] und DIN EN ISO 10052:2010-10 ist komplex und für einen Laien weder in Bezug auf die formelmäßige Vorgehensweise noch hinsichtlich der damit verbundenen Motivation nachvollziehbar. Diese Motivation besteht in einer Korrektur des Messwerts um die Raumeigenschaften; hierbei ist es juristisch durchaus diskutabel, ob gewisse Raumeigenschaften nicht auch beachtet werden müssen, weil sie Teil der Planungsleistung sind (z. B. Nachhallzeit).

Zusätzlich wird der Sachverhalt durch eine ungleiche Messwertaufbereitung in VDI 4100 und DIN 4109 verkompliziert. Damit stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Verwendbarkeit eines messtechnischen Gutachtens innerhalb juristischer Verfahren. Ein Gutachten soll auch durch Laien nachvollziehbar sein.

In der Praxis wird dies nur dadurch erreicht werden können, dass dem Gutachten eine entsprechende und allgemein verständliche Erläuterung z.B. als Anhang beigefügt wird. Der Umfang eines Baugutachtens wird dadurch mit der Folge deutlich vergrößert, dass die Bereitschaft technischer Laien zur intensiven Auseinandersetzung mit dem Gutachten sinkt.


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