BauSV 4/2021


Eva-Martina Meyer-Postelt


Sachverständiger bezichtigt Partei der Lüge – befangen? Ja!


Erklärt der gerichtlich bestellte Sachverständige, dass er die Mitteilung des Klägers, dass dieser ein Einladungsschreiben nicht erhalten habe, nicht glaube, bringt er zum Ausdruck, dass er diese Mitteilung für falsch hält und der Kläger nicht die Wahrheit sagt. Das rechtfertigt die Besorgnis, dass der Sachverständige der Sache nicht unvoreingenommen gegenübersteht.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 29.6.2020 – 11 W 13/20


Zum Sachverhalt

Das Landgericht bestellt Dr. T. zum Sachverständigen. In dem Verfahren geht es um die Leistungspflicht der Beklagten aus einem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag, auch das Verhalten des Klägers spielt dabei eine Rolle, weshalb der Dr. T. auch dieses begutachten soll. Dr. T. lädt den Kläger mit einem mit der Post übersandten Brief, von dem dessen Prozessbevollmächtigte eine Kopie erhält, schriftlich zu einem Begutachtungstermin ein. Darin fordert er den Kläger zugleich auf, den Termin vorab telefonisch zu bestätigen.

Zwei Tage vor dem Termin ruft Dr. T. bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers an, weil der Kläger ihm den Termin noch nicht bestätigt hat und bittet diese um Unterstützung. Auf sofortige Nachfrage erklärt der Kläger seiner Anwältin, dass er das Schreiben des Sachverständigen nicht erhalten habe und dass er nicht in der Lage sei, die Begutachtungsstätte allein zu erreichen, weshalb er eine kostengünstige Transportmöglichkeit benötige.

Da der Kläger diese nicht so schnell organisieren kann, wendet er sich auch selbst noch telefonisch an den Sachverständigen. Über den weiteren Ablauf wird im Rahmen eines Befangengesuchs des Klägers gegen den Sachverständigen Dr. T. gestritten. Der Kläger behauptet in diesem, dass sich der Sachverständige nach dem Telefonat mit ihm noch einmal an seine Prozessbevollmächtigte gewandt und ihr mitgeteilt habe, dass es ihre Aufgabe sei, für die Einhaltung des Begutachtungstermins Sorge zu tragen. Auf deren Hinweis, dass der Kläger die Einladung für den Termin bislang nicht erhalten habe, habe der Sachverständige geäußert, dass er dies nicht glaube und dass in den nächsten drei Monaten kein Begutachtungstermin zur Verfügung stehe.

In gleicher Weise soll sich der Sachverständige auch im vorgängigen Telefonat mit dem Kläger geäußert haben. In seiner Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch hat der Sachverständige den Vorwurf der Befangenheit strikt zurückgewiesen. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Dagegen legt der Kläger Beschwerde ein, der das Landgericht auch nicht abhilft; es legt diese dem OLG zur Entscheidung vor. Beim OLG hat der Kläger Erfolg.


Aus den Gründen

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet. Ein Sachverständiger kann gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Ein Richter kann nach § 42 Abs. 2 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei objektiver und vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber.

Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Ablehnenden scheiden als Ablehnungsgrund aus. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt der »böse Schein«, das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Ausgehend von diesem Maßstab ist die Besorgnis gerechtfertigt, dass der Sachverständige der Sache nicht unvoreingenommen gegenübersteht. Mit Blick auf die Themen des Gutachtens, nämlich die Fragen, ob der Kläger aufgrund einer Schmerzstörung nicht in der Lage sei, bestimmte Tätigkeiten durchzuführen, und ob bei dem Kläger eine Therapieweigerung vorliege, werden die Feststellungen zu einem wesentlichen Anteil auf den Angaben des Klägers selbst beruhen und darauf, wie diese Angaben einzuschätzen sein werden.

Dazu zählt auch, ob sie glaubhaft sind. Auch wird die Glaubwürdigkeit des Klägers eine Rolle für die gutachterliche Bewertung der Angaben spielen. Mit der Erklärung gegenüber dem Kläger und gegenüber seiner Prozessbevollmächtigten, dass er die Mitteilung des Klägers, dass er das Einladungsschreiben nicht erhalten habe, nicht glaube, bringt der Sachverständige zum Ausdruck, dass er diese Mitteilung für falsch hält und der Kläger nicht die Wahrheit sage.

Da er der klägerischen Darstellung über diese Erklärung weder in seinen Stellungnahmen zum Befangenheitsgesuch entgegentritt, noch andere Gründe für Zweifel an dieser Darstellung ersichtlich sind, ist diese als glaubhaft anzusehen. Nicht nur aus der subjektiven Betrachtungsweise des Klägers, sondern auch aus objektiver und vernünftiger Sicht ergibt sich aus dieser Erklärung die Befürchtung, dass der Sachverständige dem Kläger auch später nicht glauben könnte, jedenfalls aber, die Befürchtung, dass sich sein Eindruck, der Kläger habe ihn schon im Rahmen der Terminvorbereitung angelogen, im Gutachten widerspiegeln könnte.

Dabei kommt es – unabhängig von der Frage, ob tatsächlich der übliche Postlauf für den Erhalt des Einladungsschreibens sprechen kann – nicht darauf an, ob der Sachverständige mit seiner Vermutung richtig liegt. Der Sachverständige konfrontierte den Kläger nämlich in dem Gespräch nicht mit einem objektiven richtigen Umstand, der beispielsweise durch einen Zustellungsnachweis des Ladungsschreibens belegt werden könnte, sondern lediglich mit seiner eigenen Vorstellung davon, was er für wahr erachtet. Er stellte damit seine Wahrheitsvorstellung gegen die des Klägers.

Dies geschah allerdings nicht erst im Rahmen der Begutachtung selbst, sondern bereits im Stadium der Vorbereitung des Begutachtungstermins. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Sachverständige aber Wertungen über das Verhalten der zu begutachtenden Person zu enthalten, wenn kein Nachweis für die Richtigkeit seiner Angaben besteht. Gerade im Rahmen psychiatrischer Gutachten ist es von wesentlicher Bedeutung, dass der Betroffene unterscheiden kann, ob eine Begegnung mit dem Gutachter zur Grundlage der Begutachtung herangezogen wird.

Diese Unterscheidung ist jedoch bei wertenden Angaben des Sachverständigen auch außerhalb der eigentlichen Untersuchung schwer zu treffen. Vor diesem Hintergrund kommt es auch nicht darauf an, ob der Sachverständige aufgrund seiner Professionalität, die ihn gerade als Sachverständigen auszeichnet, in der Lage ist, zwischen Begebenheiten in der Terminvorbereitung und der eigentlichen Untersuchungssituation zu unterscheiden, denn für die Ablehnung genügt bereits die Besorgnis der Befangenheit, die sich – wie oben dargestellt – auch aus objektiver Sicht ergibt.


Anmerkung

Die Korrektur der landgerichtlichen Zurückweisung des berechtigten Ablehnungsgesuchs war dringend erforderlich. Die Entscheidung des OLG ist vollkommen richtig. Ein gerichtlicher Sachverständiger ist in jeder Lage des Verfahrens der Unparteilichkeit verpflichtet. Selbst wenn er den Eindruck hat, dass sich ein Prozessbeteiligter ihm gegenüber nicht an die Wahrheit hält, sollte der Sachverständige mit seinem Urteil zurückhaltend sein, und zwar insbesondere, wenn er für dessen mutmaßliche Lüge keinen Beweis hat bzw. objektive Umstände, die zwingend zu einem anderen Sachverhalt führen müssen, nicht darzutun sind.

Die Versendung seines Einladungsschreibens hätte der Sachverständige besser so organisieren sollen, dass er einen Zugangsnachweis erhält. Wenn der Sachverständige dann auch noch im Vorfeld Sorge dafür getragen hätte, dass er im Zweifelsfall nachweisen kann, dass in dem versendeten Briefumschlag auch das Einladungsschreiben enthalten war, hätte er sich nicht dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen können, wenn der Kläger den Erhalt der Einladung verneint hätte.

Unabhängig davon ist die Absicht des Sachverständigen, mit einem zeitigen Begutachtungstermin zur Verfahrensbeschleunigung beizutragen, einerseits zu begrüßen, andererseits sollte er sich dadurch aber auch nicht zu Äußerungen hinreißen lassen, die zu seiner Entfernung aus dem Verfahren führen. Im vorliegenden Fall wäre die Option, den Begutachtungstermin etwa drei Monate später neu anzusetzen, auch in zeitlicher Hinsicht nicht zu beanstanden gewesen. Insofern hat der Sachverständige mit seiner Äußerung sowohl sich selbst als auch dem Verfahren einen »Bärendienst« erwiesen.

EMMP 


Weitere Urteile finden Sie in der August-Ausgabe von »Der Bausachverständige«.
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