DER BAUSV 4/2019


Eva-Martina Meyer-Postelt


Sachverständigenrecht

Gerichtsgutachter muss Privatgutachten beachten


1. Stellt ein Privatsachverständiger eine bestimmte Kontamination mit Schadstoffen fest und rechnet von diesen Werten aus auf die ursprüngliche Kontamination beim Einzug zurück, kann der Gerichtssachverständige eine solche Ableitung nicht einfach negieren, sondern er muss dies fachlich fundiert begründen.

2. Das Gericht verstößt gegen das Recht einer Partei auf rechtliches Gehör, wenn es im Urteil nicht zu erkennen gibt, dass es die konträren Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen einerseits und des von der Partei beauftragten Privatgutachters andererseits sorgfältig und kritisch gewürdigt und gegebenenfalls die Streitpunkte mit dem gerichtlichen Sachverständigen erörtert hat.


BGH, Beschluss vom 14.05.2019 – VIII ZR 126/18

Zum Sachverhalt

Die Klägerin vermietete der Beklagten eine Wohnung. Die Beklagte zog ein, hielt sich aber nur vier Tage in der Wohnung auf und kündigte das Mietverhältnis wegen Gesundheitsgefährdung durch Raumgifte. Zur Begründung berief sie sich darauf, dass die Klägerin vor der Vermietung an die Beklagte eine unsachgemäße Reinigung durchgeführt hat. Dabei soll u.a. eine große Menge eines frei verkäuflichen, biozidhaltigen Reinigungsmittels verwendet worden sein. Die Beklagte macht geltend, dass der Reiniger mit anderen Mitteln und Baustoffen so reagiert hat, dass sich giftige Gase, Dämpfe und Ablagerungen gebildet hätten. Davon habe sie eine Vergiftung und andauernde erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen erlitten. Sie könne deshalb ihrer zuvor ausgeübten Tätigkeit nicht mehr nachgehen. Die Giftstoffe hätten sich zudem an sämtlichen von ihr in die Wohnung eingebrachten Gegenständen niedergeschlagen.

Nach Durchführung eines Beweisverfahrens begehrt die Beklagte mit ihrer beim Landgericht noch anhängigen Widerklage u.a. die Feststellung der Verpflichtung der Klägerin zum Ersatz sämtlicher materieller Schäden, welche die Beklagte mit rund 80.000 € beziffert. Die Widerklage ist in den Vorinstanzen gescheitert. Die Revision hat das Landgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten und sie hat damit beim BGH Erfolg.


Aus den Gründen

Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), da sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht mit dem mittels Privatgutachten konkretisierten Parteivortrag der Beklagten auseinandergesetzt hat.

Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.

Zwar muss sich das Gericht nicht mit jedem von einer Partei vorgebrachten Gesichtspunkt auseinandersetzen. Es hat jedoch namentlich den auf eine privatgutachterliche Stellungnahme gestützten Parteivortrag hinreichend in seine Überzeugungsbildung einzubeziehen. Das Gericht verstößt daher gegen das Recht einer Partei auf rechtliches Gehör, wenn es im Urteil nicht zu erkennen gibt, dass es die konträren Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen einerseits und des von der Partei beauftragten Privatgutachters andererseits sorgfältig und kritisch gewürdigt und gegebenenfalls die Streitpunkte mit dem gerichtlichen Sachverständigen erörtert hat.

Die Entscheidungsgründe müssen erkennen lassen, dass eine Auseinandersetzung mit den sich aus dem Privatgutachten ergebenden Einwendungen stattgefunden hat. Im Ergebnis muss das Gericht hiernach mit nachvollziehbarer und einleuchtender Begründung einer der Auffassungen den Vorzug geben.

Die Begründung des Berufungsurteils genügt diesen Anforderungen nicht. Das Berufungsgericht hat das rechtliche Gehör der Beklagten dadurch verletzt, dass es die Widersprüche zwischen den Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen und der Privatgutachter nicht zur Kenntnis genommen hat. Stattdessen hat es die pauschale, nicht begründete Beurteilung der gerichtlich bestellten Sachverständigen, dass die Beweisfrage aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr beantwortet werden könne, unkritisch übernommen.

Für eine solche Feststellung liefert das zweiseitige Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen jedoch keine ausreichende Grundlage. Der Privatgutachter hat auf Grundlage einer rund zweieinhalb Monate nach dem Einzug der Beklagten entnommenen Luftprobe u.a. bezüglich Biozid MIT eine nachweisbare Überschreitung der Richtwerte festgestellt. Die von ihm vorgefundene Raumluftbelastung hat er noch zu diesem Zeitpunkt als »hygienisch auffällig bis bedenklich« bewertet. Er hat weiter angenommen, dass u.a. das Biozid MIT und einige weitere flüchtige Stoffe anfänglich mehrfach höher konzentriert gewesen sein müssten.

Warum die gerichtlich bestellte Sachverständige demgegenüber einen solchen Rückschluss als nicht möglich ansieht, bedurfte näherer Erläuterung. Sie hat nicht wissenschaftlich fundiert dargelegt, weshalb aus ihrer Sicht die »große« Zeitspanne von lediglich zweieinhalb Monaten zwischen dem Einzug der Beklagten und den Messungen des Privatgutachters solche Rückrechnungen nicht erlauben sollen.

Sie führt zwar aus, dass zahlreiche der im Beweisbeschluss aufgeführten Substanzen beziehungsweise Substanzgruppen im Untersuchungsumfang des Privatgutachters nicht enthalten gewesen seien. Jedoch ist nicht näher begründet, welche dies waren und warum gerade dieses Fehlen einer Beantwortung der Beweisfrage entgegensteht. Zudem hat der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren aufgrund einer späteren Messung immerhin noch eine »geringe Gesamtkonzentration an Lösungsmitteln« sowie eine »leicht erhöhte Konzentration an organischen Säuren« nachweisen können.

Darüber hinaus hat die gerichtlich bestellte Sachverständige den Widerspruch zu den Ergebnissen des weiteren Privatgutachters ebenfalls nicht in einer Weise erläutert, die es dem Gericht ermöglicht hätte, den Feststellungen der Gerichtssachverständigen den Vorzug zu geben. Beide Privatgutachter haben zu unterschiedlichen Zeiten eine Rückrechnung auf eine auffällige Raumluftkontamination zum Einzugszeitpunkt der Beklagten vorgenommen, die zweifelsfrei miteinander korrelierten.

Wenn die gerichtlich bestellte Sachverständige eine solche Ableitung aus ihrer Sicht als nicht möglich bezeichnet, bedarf dies einer fachlich fundierten Begründung. Diese fehlt. Die Nichtzulassungsbeschwerde weist zu Recht darauf hin, dass die gerichtlich bestellte Sachverständige jede nachvollziehbare Begründung dafür schuldig bleibt, warum sie den Einschätzungen der Privatgutachter nicht folgt.

Nach Vorstehendem war das Gericht somit bereits von Amts wegen (§ 411 Abs. 3 ZPO) gehalten und daher unabhängig von dem in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag der Beklagten auf Erläuterung des Gutachtens (§§ 397, 402 ZPO), den Widersprüchen zwischen den Feststellungen der Gerichtsgutachterin sowie der Privatgutachter mittels weiterer Sachverhaltsaufklärung nachzugehen.


Anmerkung

Die dem Berufungsgericht unterlaufene Gehörsverletzung war auch insofern entscheidungserheblich, weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Gericht bei der gebotenen weiteren Sachverhaltsaufklärung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Feststellungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sind gegenüber den Feststellungen eines Privatgutachters nicht allein deshalb überzeugender, weil das Gericht den einen Sachverständigen beauftragt hat, während der Privatgutachter von einer Partei beauftragt wurde.

Das Gericht kann seine Entscheidung durchaus auf ein sachlich überzeugendes Privatgutachten stützen, wenn das Gutachten eines gerichtlich bestellten Sachverständigen die Qualität des Privatgutachtens nicht hat. Das Gericht trifft seine Entscheidungen gem. § 286 ZPO auf der Grundlage freier Beweiswürdigung.

Weitere Urteile finden Sie in der August-Ausgabe von »Der Bausachverständige«.
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