DER BAUSV 6/2019

Eva-Martina Meyer-Postelt


Ist Wertschätzung ein Ablehnungsgrund? Nein!

 

  1. Für die Frage, ob die Äußerung eines Sachverständigen im Rahmen seines Gutachtens die Besorgnis der Befangenheit begründet, ist auf den Gesamtzusammenhang abzustellen.
  2. Dass ein Sachverständiger dem Beklagten eine »hohe Kompetenz« bescheinigt, reicht hierfür für sich genommen nicht aus.

OLG Dresden, Beschluss vom 6.12.2018 – 4 W 1076/18

 

Zum Sachverhalt

Mit einem selbstständigen Beweisverfahren begehren die Antragsteller die Klärung diverser Behandlungsfehlervorwürfe gegen den Antragsgegner, einen Arzt. In seinem Gutachten hat der gerichtlich beauftragte Sachverständige u.a. über den Antragsgegner geäußert, dass dieser ein international anerkannter Experte sei und der Erfahrenste in der Abteilung gewesen wäre. Diese Äußerung haben die Antragsteller als distanzlos und parteilich beanstandet und den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht das Befangenheitsgesuch zurückgewiesen. Mit der sofortigen Beschwerde wiederholen die Antragsteller ihren Vorwurf der Distanzlosigkeit und beanstanden des Weiteren die sachverständigen Feststellungen – allerdings auch beim OLG ohne Erfolg.


Aus den Gründen

Die gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch der Antragsteller gegen den Sachverständigen zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Gemäß § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Der Sachverständige ist danach ebenso wie der Richter zu unvoreingenommener und neutraler Führung seiner Aufgaben verpflichtet; dies verlangt Sachlichkeit und die Wahrung des »gleichen Abstands« zu den Parteien.

Die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ist demnach dann zu bejahen, wenn berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit und Neutralität aus Sicht einer vernünftigen Partei bestehen, wenn also ausreichende Anhaltspunkte gegeben sind, die das subjektive Misstrauen der ablehnenden Partei bei vernünftiger Betrachtung rechtfertigen können und die Befürchtungen der Partei hinsichtlich einer Parteilichkeit des Sachverständigen nachvollziehbar erscheinen lassen. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Vorliegend ergibt die gebotene Gesamtwürdigung, dass ausreichende Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit bei vernünftiger Betrachtung nicht gegeben sind.


Was die bereits im Befangenheitsantrag beanstandete »distanzlose« Äußerung des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten betrifft, so kann diese nicht aus ihrem Kontext herausgelöst werden. Bei Lektüre des gesamten Textes kann der Senat eine Besorgnis der Befangenheit nicht erkennen:

Zum einen zielt der gesamte Absatz, in dem sich die Äußerung befindet, überhaupt nicht auf eine Bewertung des Handelns des Antragsgegners, sondern erklärt nur, dass das offenbar weniger erfahrene Personal wegen der aufgetretenen Unregelmäßigkeiten das getan habe, was man in einer Einrichtung der Maximalversorgung – wie hier gegeben – habe tun müssen, nämlich die Sache zur Beurteilung dem »in der Abteilung Erfahrensten und über die Grenzen der Abteilung hinaus anerkannten Fachmann« zu übergeben, um ein hohes Niveau der Betreuung der Antragstellerin zu 2) zu gewährleisten.

Zum zweiten hat der Sachverständige sich im Verlaufe des ganzen Gutachtens eben nicht auf die Feststellung der ausgewiesenen Expertise des Antragsgegners beschränkt, sondern im Gegenteil ausführlich die medizinisch relevanten Parameter aufgezählt und diskutiert, die vorliegend für die Entscheidungsfindung während der Betreuung der Antragstellerin zu 2) zu berücksichtigen waren.


In dieser fachlichen Auseinandersetzung mit der Vorgehensweise des Antragsgegners ist aber an keiner Stelle eine distanzlose Übernahme der medizinischen Einschätzung des Antragsgesuchs zu erkennen. Soweit dies lediglich an einer Stelle indirekt der Fall ist, nämlich am Ende des Gutachtens, wäre die in diesem Kontext dem Antragsgegner bescheinigte hohe Kompetenz eher geeignet, dem Antragsgegner zum Nachteil zu gereichen, weil der Sachverständige hier zu erkennen gibt, dass er von einer von einem derart anerkannten Experten geführten Einrichtung durchaus einen höheren Standard verlangt als von einer Einrichtung der Regelversorgung.

Dies ergibt sich aus dem letzten Satz des Gutachtens, in welchem ausgeführt wird, dass die Behandlung durch den Chefarzt und »dem dort zu erwartenden hohen medizinischen Standard« genügt hat. Im Übrigen wären inhaltliche Angriffe gegen das Gutachten und behauptete etwaige Qualitätsmängel nicht geeignet, vom Standpunkt eines vernünftigen Betrachters aus die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Solche Einschätzungen können vielmehr durch die ergänzende Anhörung des Sachverständigen – wie hier folgerichtig auch beantragt – ausgeräumt werden.

Nach alledem war die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.


Anmerkung

Unabhängig davon, dass diese Entscheidung im Zusammenhang mit einem medizinischen Gutachten ergangen ist, ist sie auf baurechtliche Streitigkeiten ohne Weiteres übertragbar. Wie bereits an dieser Stelle mehrfach kommentiert, müssen sich gerichtlich beauftragte Sachverständige bei der Begutachtung u.a. so verhalten, dass sie ihrer Pflicht zur Unparteilichkeit zu jeder Zeit nachkommen. Strikte Neutralität und Sachlichkeit wird von Sachverständigen bei jedweder Äußerung – schriftlich oder mündlich – erwartet. Umgekehrt wird dem Sachverständigen sowohl vom Gericht als auch von den Parteien besonderes Vertrauen entgegengebracht, weil der Sachverständige durch das Fachwissen ausgewiesen wird, das dem Gericht fehlt, dort aber – als extern nachgefragte Leistung – benötigt wird, um die Streitfragen letztlich entscheiden zu können.

Bei der Beantwortung der Beweisfragen muss der Sachverständige deshalb die gebotene Distanz wahren. Richtigerweise aber hat das OLG auch darauf hingewiesen, dass die Äußerungen eines Sachverständigen immer im Kontext als Gesamtbetrachtung beurteilt werden muss. So hat es das OLG im vorliegenden Fall als nachvollziehbar und begründet angesehen, dass der Sachverständige in einem ersten Schritt die individuelle fachliche Kompetenz des Antragsgegners dargestellt hat und dann in einem zweiten Schritt Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob sich der Antragsgegner entsprechend seiner individuellen Fähigkeiten verhalten hat.          

EMMP


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