Eva-Martina Meyer-Postelt


Duzen als Befangenheitsgrund? Nein!


1. Allein aus dem Umstand, dass sich der gerichtliche Sachverständige mit einem Arzt des beklagten Klinikums duzt, kann nicht auf seine Befangenheit geschlossen werden.

2. Einer eidesstattlichen Versicherung kommt im Verfahren über den Antrag auf Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit keine gesteigerte Beweiskraft zu.


OLG Dresden, Beschluss vom 31.08.2021 – 4 W 587/21


Zum Sachverhalt

Der Kläger begehrt von der Beklagten, einem Krankenhaus, Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer bei der Beklagten erfolgten Behandlung, die nach Ansicht des Klägers fehlerhaft war. Das Landgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. S eingeholt und ihn in der mündlichen Verhandlung angehört.

Nach Abschluss der Anhörung wurde die mündliche Verhandlung kurzzeitig unterbrochen. In dieser Zeit unterhielt sich der Sachverständige mit dem Chefarzt der Beklagten Dr. B. Nach Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung stellte der Kläger einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen, weil dieser sich in der Pause freundschaftlich mit Herrn Dr. B per Du unterhalten habe.

Bei der danach sofort durchgeführten gerichtlichen Befragung erklären sowohl Prof. S als auch Dr. B zu Protokoll, dass sie nicht befreundet und auch nicht per Du sind. Beide bekräftigen übereinstimmend, dass sie sich persönlich erstmals in dieser Sitzung des Landgerichts persönlich begegnet sind und lediglich aus dem Schriftverkehr voneinander wissen.

Das Landgericht hat den Ablehnungsantrag des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss legt der Kläger sofortige Beschwerde ein und unterlegt diese mit einer eidesstattlichen Versicherung. Ohne Erfolg.


Aus den Gründen

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit nicht gerechtfertigt ist. Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken.

Erforderlich sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Allein die berufliche Bekanntschaft zwischen einem medizinischen Sachverständigen und einem oder mehreren Behandlern der Beklagten in einem Arzthaftungsverfahren vermag die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen.

Ebenso wenig genügt eine persönliche Bekanntschaft. Entscheidend ist vor allem die Nähe der Beziehung. Ein solches persönliches Näheverhältnis, das aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte, ist hier aber nicht festzustellen. Es kann unterstellt werden, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Sachverständigen und Herrn Dr. B nach Rückkehr in den Gerichtssaal in freundschaftlich wirkender Pose dicht beieinanderstehend gesehen hat, wobei der eine zum Abschied kurz die Schulter des anderen berührt hat.

Ein solches Beieinanderstehen mag aus der Sicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers freundschaftlich ausgesehen haben. Dies stellt jedoch ebenso wie das kurze Berühren der Schulter keine belastbare Tatsache dar, aus der auf ein enges Näheverhältnis geschlossen werden könnte. Soweit die Rechtsreferendarin der Prozessbevollmächtigten des Klägers in ihrer eidesstattlichen Versicherung angegeben hat, dass der Sachverständige seine mitgebrachten Unterlagen provokativ zugeklappt habe, als die Klägervertreterin mit der Befragung begonnen habe und der Tonfall ihr gegenüber auch deutlich härter und abweisender gewesen sei, wird dies schon durch die entgegenstehenden Beobachtungen der Mitglieder der Kammer des Landgerichts widerlegt.

Ein abweisendes und hartes Auftreten gegenüber der Klägerseite durch den Sachverständigen konnte die Kammer nicht wahrnehmen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers habe die bereits schriftsätzlich vorformulierten und durch die Kammer bereits gestellten Fragen mit verschiedenen Bezugnahmen und Umstellungen erneut gestellt. Mit zunehmender Dauer der Anhörung des Sachverständigen und der mehrfachen Wiederholung derselben Fragen habe der Sachverständige jedoch in zunehmendem Maße auf seine bereits getätigten Ausführungen verwiesen.

Weder verächtliche Blicke noch Reaktionen konnte die Kammer in diesem Zusammenhang wahrnehmen. Soweit die Rechtsreferendarin in ihrer eidesstattlichen Versicherung schilderte, dass sich der Sachverständige und Dr. B geduzt hätten und sie Sätze gehört habe wie »Lass uns am Fenster reden.«, »Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.« und »Ich wünsche dir eine schöne Woche.« steht dies im Widerspruch zu den übereinstimmenden Angaben des Sachverständigen und des Dr. B, die erklärten, weder persönlich bekannt noch befreundet und auch nicht per Du zu sein.

Eine irgendwie geartete Arbeitsbeziehung wurde von dem Sachverständigen ebenfalls verneint. Herr Dr. B erklärte, dass er den Sachverständigen lediglich gebeten habe, Grüße an einen bekannten Kollegen von ihm ausrichten zu lassen. Es besteht kein Anlass, den Angaben der Rechtsreferendarin mehr Glauben zu schenken als denen des Sachverständigen und des Arztes der Beklagten, Dr. B.

Unabhängig davon würde auch die Verwendung der Anrede »Du« für sich genommen nicht den Schluss auf ein besonderes Näheverhältnis rechtfertigen, das aus Sicht einer vernünftigen Partei die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergibt sich auch nicht, in welchem Zusammenhang der behauptete Satz »Vor so etwas rufe ich immer telefonisch an, das gehört sich so unter Kollegen.« gefallen sein soll. Eine Verfahrensbezogenheit der Aussage ist nicht ersichtlich.


Anmerkung

Unabhängig davon, dass die geschilderte Situation und die rechtliche Beurteilung im Rahmen einer medizinrechtlichen Auseinandersetzung vorgefallen bzw. erfolgt ist, sind die Gründe, die zur Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs geführt haben, ohne Einschränkungen auf vergleichbare Sachverhalte zu übertragen, die sich im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zu anderen Rechtsgebieten, insbesondere im baurechtlichen Kontext, genauso ergeben können.

Insbesondere im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit, die ja gerade gewünscht ist, kommen regelmäßig u.a. technische Sachverständige und Baurechtsanwälte zusammen, um sich gemeinsam fortzubilden und miteinander Problemlösungen zu diskutieren. Bei solchen Gelegenheiten, bei denen man sich »immer wieder über den Weg läuft«, ergeben sich naturgemäß auch zwischenmenschliche Kontakte, unabhängig davon, dass sich technische Sachverständige und Baurechtsanwälte auch im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten immer wieder begegnen.

Es ist keine Frage, dass es geboten ist, über solche Bekanntschaften, aus denen sich ein Näheverhältnis zwischen dem Sachverständigen und dem Baujuristen entwickelt hat, Auskunft im Rahmen eines Rechtsstreits zu geben, und zwar unaufgefordert, soweit beide gleichzeitig in diesem Rechtsstreit in unterschiedlichen Funktionen tätig sind. Aber bei der Bewertung, ob Handlungen und Äußerungen eines Sachverständigen bzw. ein kommuniziertes Näheverhältnis zu einem beteiligten Baujuristen den Anschein einer Befangenheit begründen können, kommt es immer auf eine objektive Gesamtbetrachtung an.

Dies gilt auch für Äußerungen in der mündlichen Verhandlung. Insgesamt ist dem OLG Dresden zuzustimmen, dass das Vorgehen des Sachverständigen nicht zu beanstanden war. Der Nachweis für die Vorwürfe konnte klägerseits nicht geführt werden. Es stand vielmehr Aussage gegen Aussage. Sowohl der Sachverständige als auch der Beklagtenvertreter haben einerseits ihre persönliche Bekanntschaft bestritten als auch über ihr Verhalten während der Verhandlungspause Auskunft gegeben.

Daraus ließ sich nicht auf ein enges Näheverhältnis schließen. Richtig ist, dass das OLG der eidesstattlichen Versicherung bei der Frage der Befangenheit keine höhere Bedeutung beigemessen hat als dem begründeten Bestreiten des Sachverständigen. Hinzu kommt, dass die eidesstattliche Versicherung prozessual nicht vorgeschrieben ist. Umgekehrt besteht aber generell auch keine Vermutung dahingehend, dass das Vorbringen einer Partei – ohne eine eidesstattliche Versicherung – in der Regel unwahr wäre.

EMMP


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