Jörg Zeller


Der Baumangel im Sachverständigengutachten


1. Einleitung

In einer Großzahl von Bauprozessen geht es – zumindest auch – immer wieder um »Mängel« der erbrachten Bauleistungen, sodass die vom Gericht bestellten Sachverständigengutachten regelmäßig die Frage zu beantworten haben, inwiefern ein behaupteter Baumangel tatsächlich gegeben ist oder nicht, und, sollte er gegeben sein, welche Nachbesserungsmaßnahmen und Kosten zur fachgerechten Beseitigung des festgestellten Mangels notwendig und erforderlich sind.

Nach der Lektüre einer immensen Anzahl von Sachverständigengutachten in unzähligen Bauprozessen fällt dabei immer wieder auf, dass die vom Gericht bestellten Sachverständigen teilweise ein falsches Verständnis davon haben, wann eine Bauleistung überhaupt juristisch mangelhaft ist oder nicht und deshalb Ausführungen in diesen Sachverständigengutachten zu finden sind, die entweder gar nicht gefragt oder sogar falsch sind oder aber an der eigentlichen Fragestellung völlig vorbeigehen.

Der von den Juristen verstandene und gefragte »Mangelbegriff« weicht nämlich oftmals von dem Verständnis der – zumeist technisch- und lösungsorientierten – Sachverständigen ab, woraus sich dann im Verfahren immer wieder Nachfragen der Prozessbeteiligten – einschließlich des Gerichts – ergeben und Ergänzungsgutachten und mündliche Anhörung notwendig und erforderlich werden, die gegebenenfalls bei zutreffendem Verständnis des juristischen Mangelbegriffes und der aufgeworfenen Beweisfragen vermeidbar gewesen wären.

Viele Sachverständige setzen sich sogar einer deutlichen Angreifbarkeit ihres Gutachtens – bis hin zu einer Ablehnung wegen einer Besorgnis der Befangenheit – aus, wenn sie – aufgrund eines möglicherweise nur unzutreffenden Verständnisses des juristischen Mangelbegriffes – ihr Sachverständigengutachten fehlerhaft erstatten. 

Im Nachfolgenden soll daher beleuchtet werden, wann juristisch nach der gesetzlichen Regelung von einem werkvertraglichen Mangel auszugehen ist und welche Prüfungen, Ausführungen und Feststellungen diesbezüglich von dem Sachverständigen verlangt werden und welche gerade nicht. Insbesondere soll auch beleuchtet werden, welche in der Praxis oftmals vorgenommenen Ausführungen der Sachverständigen sogar falsch sind und das Gutachten angreifbar machen können und wann sogar die Besorgnis einer Befangenheit droht, mit der Folge des vollständigen Auftragsentzuges und des Verlustes gegebenenfalls sogar sämtlicher Vergütungsansprüche.


Der juristische Mangelbegriff

Im Gesetz und in der VOB wird zunächst nicht definiert, wann eine Werkleistung mangelhaft ist, sondern vielmehr nur klargestellt, wann eine Bauleistung mangelfrei ist. Aus dem Umkehrschluss ergibt sich dann, wann die Bauleistung tatsächlich juristisch mangelhaft ist.

Eine Werkleistung / Bauleistung ist dabei gemäß § 633 Abs. 2 BGB dann mangelfrei, wenn sie der vereinbarten Beschaffenheit entspricht. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Besteller nach der Art des Werks erwarten kann. 

Eine vergleichbare Regelung enthält auch § 13 Abs. 1 VOB/B. Sofern ein VOB-Vertrag geschlossen wurde, also wirksam die Einbeziehung der VOB/B vereinbart wurde, ist gem. § 13 Abs. 1 VOB/B die Bauleistung zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit aufweist und den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Ist die Beschaffenheit nicht vereinbart, so ist die Leistung zur Zeit der Abnahme frei von Sachmängeln, wenn sie sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte, sonst für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Werken der gleichen Art üblich ist und die der Auftraggeber nach der Art der Leistung erwarten kann.

Sowohl beim BGB-Vertrag als auch beim VOB/B-Vertrag, erfolgt somit eine Prüfung der Mangelfreiheit / Mangelhaftigkeit in drei Stufen:

  1. Stufe: Vertraglich vereinbarte Beschaffenheit = tatsächliche Beschaffenheit?
  2. Stufe: Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung?
  3. Stufe: Eignung für die gewöhnliche Verwendung bzw. übliche und zu erwartende Beschaffenheit?


2.1. Beschaffenheitsvereinbarung (1. Stufe)

Ein Sachmangel liegt grundsätzlich dann vor, wenn die erbrachte Werkleistung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit abweicht. Es kommt also entscheidend darauf an, inwiefern die vertraglich vereinbarte »Soll-Beschaffenheit« der tatsächlichen »Ist-Beschaffenheit« entspricht. Welche Beschaffenheit dabei konkret vereinbart wurde, ergibt sich aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag. Ggf. ist durch Auslegung zu ermitteln, welche »Soll-Beschaffenheit« zwischen den Parteien tatsächlich und wirksam vereinbart wurde.

Entsprechende Beschaffenheitsvereinbarungen können sich beispielsweise ergeben aus dem Vertrag, vorvertraglichen Unterlagen, Verkaufsprospekten, Bauzeichnungen, Leistungsbeschreibungen etc.

Weicht die tatsächliche »Ist-Beschaffenheit« dann von der vertraglich vereinbarten »Soll-Beschaffenheit« ab, so ist grundsätzlich die Werkleistung alleine deshalb juristisch mangelhaft.

Beispiel: Bauherr B beauftragt Fliesenleger F damit ein Badezimmer im Bereich der Wände bis zu einer Höhe von 2,50 m neu mit Fliesen zu belegen. Fliesenleger F bringt die Fliesen allerdings nur bis zu einer Höhe von 2,00 m ein. Die ausgeführte Bauleistung entspricht damit nicht der getroffenen Vereinbarung und ist allein deshalb juristisch mangelhaft.


Es kommt juristisch in diesem Zusammenhang zunächst gar nicht darauf an, inwiefern durch diese Abweichung der Beschaffenheit die Funktionstauglichkeit des Werks beeinträchtigt ist oder nicht bzw. inwiefern die Werkleistung »minderwertiger« ist oder nicht. Diese Fragen können allenfalls später eine Rolle spielen im Zusammenhang mit einer möglichen »Unverhältnismäßigkeit«.

Beispiel: Bauherr B beauftragt Installateur I mit der Installation einer neuen Heizungsanlage, wobei ausdrücklich die Lieferung und Montage einer bestimmten Heizung des Modells »XYZ« vereinbart wurde. Da diese Heizungsanlage kurzfristig nicht lieferbar war, liefert und montiert Installateur I – ohne entsprechende Abstimmung mit dem Bauherrn – eine völlig gleichwertige Anlage eines anderen Herstellers, die bezüglich Leistung, Verbrauch, Lebenserwartung etc. absolut vergleichbar ist mit der geschuldeten Anlage. Trotz dieser völligen Gleichwertigkeit ist die gelieferte Heizungsanlage zunächst juristisch mangelhaft, weil sie nicht der vertraglich getroffenen Vereinbarung entspricht. Allenfalls denkbar wäre, dass die geforderte Nachbesserung zum Austausch der Anlage ggf. »unverhältnismäßig« sein könnte.


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