BauSV 3/2021


Eva-Martina Meyer-Postelt


Beantwortung von Rechtsfragen – Vergütung abgelehnt!


Wird der Sachverständige gerichtlich zu Gegebenheiten befragt, die er als nicht streitig erkennen kann, bzw. werden ihm nur Rechtsfragen angetragen, muss er die Arbeit ablehnen; äußert er sich stattdessen gutachterlich, erhält er keine Vergütung.

LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8.3.2021 – L 7 KO 7/18


Zum Sachverhalt

Nachdem die Klage in erster Instanz Erfolg hatte, legte die Beklagte Berufung ein. Die Parteien, ein Krankenhaus und die beklagte Krankenkasse, stritten beim Landessozialgericht (LSG) in zweiter Instanz über die Abrechnung von Krankenhausleistungen in Höhe von restlichen ca. 1.300 Euro und deren Kodierung nach Fallgruppenpauschalen. Das LSG beauftragte einen Sachverständigen mit der Beantwortung von sieben Beweisfragen, die es zuvor in einem Beweisbeschluss formuliert hatte.

Der Sachverständige legte ein 37 Seiten umfassendes Gutachten vor, woraufhin die Klägerin ihre Klage zurücknahm. Für die Erstellung seines Gutachtens macht der Sachverständige eine Vergütung in Höhe von 4.766,00 Euro geltend. Die Kostenbeamte beim LSG setzt die Vergütung auf 3.777,25 Euro fest. Dagegen wendet sich der Sachverständige, indem er geltend macht, dass es sich bei dem von ihm erstellten Gutachten um ein solches mit hohem Schwierigkeitsgrad gehandelt habe und beantragt die richterliche Festsetzung.

Die Entscheidung darüber trifft ein anderer Senat des LSG. Dieser weist u.a. darauf hin, dass die Anwendung und Auslegung der Kodierrichtlinien als Rechtsfragen einzustufen sind und eine Sachverständigenvergütung hierfür nicht infrage kommt. In der Konsequenz versagt das LSG dem Sachverständigen die Vergütung vollständig.


Aus den Gründen

Die Vergütung der Sachverständigen, die vom Gericht herangezogen werden, richtet sich nach den Vorschriften des JVEG. Maßgeblich sind gemäß § 24 JVEG die Vorschriften des JVEG in der bis 31.12.2020 geltenden Fassung (a.F.), weil der Antragsteller als Sachverständiger vom LSG vor dem Inkrafttreten der Neufassung des JVEG zum 1.1.2021 herangezogen worden ist. Der Antrag auf richterliche Festsetzung ist gemäß § 4 Abs. 1 JVEG a.F. statthaft und führt zur Festsetzung der Vergütung auf 0,00 Euro.

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Denn die gerichtliche Festsetzung gemäß § 4 Abs. 1 JVEG a.F. stellt keine Überprüfung der von den Kostenbeamten vorgenommenen Ermittlung der Entschädigung oder Vergütung dar, sondern ist eine davon unabhängige erstmalige Festsetzung. Bei der Ermittlung durch die Kostenbeamten handelt es sich um eine lediglich vorläufige Regelung, die durch den Antrag auf gerichtliche Festsetzung hinfällig wird. Damit wird die vorherige Berechnung der Beträge insgesamt gegenstandslos.

Das Gericht hat daher eine vollumfassende Prüfung des Entschädigungs- oder Vergütungsanspruchs vorzunehmen. Es ist bei der Festsetzung weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den Kostenbeamten oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur nicht mehr festsetzen, als beantragt ist. Eine Reduzierung der vom Kostenbeamten festgesetzten Vergütung ist dagegen möglich. Die Vergütung ist im vorliegenden Fall gänzlich zu versagen, weil sich das beauftragte und vom Antragsteller erstattete Gutachten auf rechtliche Fragen bezog, die keinem Beweis zugänglich waren und zu denen deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens unzulässig war.

Eine Vergütung für ein solches Gutachten sieht das Gesetz nicht vor. Gemäß § 8 Abs. 1 JVEG a.F. erhalten Sachverständige als Vergütung ein Honorar für ihre Leistungen, Fahrtkostenersatz, Entschädigung für Aufwand sowie Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen. Eine abweichende Vergütungsvereinbarung mit dem Gericht ist nur nach § 13 JVEG wirksam. § 9 Abs. 1 Satz 1 JVEG a.F. sieht entsprechend der Zuordnung zu einer bestimmten Honorargruppe Stundensätze vor. Die Zuordnung einer gutachterlichen Leistung zu einer Honorargruppe bestimmt sich gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 JVEG a.F. nach der Anlage 1 des JVEG a.F.

Ist die Leistung auf einem Sachgebiet zu erbringen, das in keiner Honorargruppe genannt wird, ist sie unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze einer Honorargruppe nach billigem Ermessen zuzuordnen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 JVEG a.F.). Das vom Antragsteller erstellte Gutachten lässt sich weder unter Zugrundelegung der Anlage 1 zu § 9 JVEG a.F. noch nach der Ermessensvorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG a.F. einer Honorargruppe zuordnen.

Das LSG hat den Antragsteller fast ausschließlich mit der Beantwortung reiner Rechtsfragen beauftragt. Derartige Gutachten werden in Anlage 1 zu § 9 JVEG a.F. nicht aufgeführt. Sie können als Rechtsgutachten auch nicht erfasst sein, weil die gerichtliche Einholung von Rechtsgutachten, soweit nicht die in § 293 ZPO geregelten Ausnahmefälle eingreifen, unzulässig ist. Das von dem Antragsteller erstellte Gutachten lässt sich daher auch nicht nach § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG a.F. unter Berücksichtigung der allgemein für Leistungen dieser Art außergerichtlich und außerbehördlich vereinbarten Stundensätze einer Honorargruppe nach billigem Ermessen zuordnen. Diese Auffangvorschrift des JVEG a.F. zur Sachverständigenvergütung ist auf gerichtlich eingeholte, nicht § 293 ZPO unterfallende Rechtsgutachten nicht anwendbar.

Die Einholung eines Rechtsgutachtens durch das Gericht zu in Deutschland geltenden, deutschen Rechtsnormen ist dem gerichtlichen Sachverständigenbeweis wesensfremd. Der Sinn und Zweck des Sachverständigenbeweises besteht darin, dass der Sachverständige als Gehilfe des Richters seine besondere Sachkunde zur Verfügung stellt, um aus bestimmten Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, Kenntnisse von Erfahrungssätzen zu vermitteln oder mit besonderem Fachwissen Tatsachen festzustellen und dadurch die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts zu erweitern.

Für Rechtsfragen lautet der Grundsatz des deutschen Rechtes dagegen »iura novit curia«, also dass der Richter das Recht kennen bzw. selbständig feststellen, auslegen und anwenden muss. Die Rechtsermittlung obliegt dem Richter selbstständig und in vollem Umfange, insbesondere in dem weiten Bereich des deutschen Gesetzesrechts. Dies bedeutet für das Gericht im Einzelnen, dass es entweder die genaue Kenntnis vom anzuwendenden Recht hat oder dass es dieses Recht ermitteln muss, sei es durch Studium von Literatur und Rechtsprechung oder durch Informationen von Kollegen, wissenschaftlichen Mitarbeitern oder anderen Fachleuten. Diese Art der richterlichen Information über die Rechtslage ist ein interner Vorgang und hat keinerlei Verbindung zu einem Beweisverfahren.

Die Kenntnis des allgemein gültigen, in Deutschland geltenden deutschen Rechts und auch des gemäß Art. 25 bzw. Art. 59 Absatz 2 GG transformierten Völkerrechts sowie des Rechts der EU wird vom deutschen Richter dabei bedingungslos gefordert. Soweit ein Gericht zur Beurteilung inländischen Rechts ein Sachverständigengutachten einholt, liegt deshalb eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des § 8 GKG vor, weil die Anwendung inländischen Rechts originäre richterliche Aufgabe ist, die einem Sachverständigen nicht überlassen werden darf.

Ein Sachverständigengutachten im gerichtlichen Verfahren ist ein Beweismittel zur Feststellung von Tatsachen, nicht zur Feststellung der Rechtslage. Der Sachverständige hat nicht die Aufgabe, den entscheidungserheblichen Prozessstoff zusammenzustellen, zu ordnen oder in rechtlicher Hinsicht zu bewerten. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass eine Beweisaufnahme nur über streitige Tatsachen, nicht aber Rechtsnormen durchzuführen ist, sieht das Gesetz nur in § 293 ZPO bezüglich der Feststellung ausländischen Rechts, Gewohnheitsrechts oder von Statuten vor. Für die Auslegung inländischen Rechts gilt dies nicht, auch wenn es sich um komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge handelt.

Auch der Umstand, dass sich eine Materie zum »Spezialgebiet« entwickelt hat, ist kein Grund, ein Gutachten einzuholen. Der qualifizierte Volljurist, der als Richter eingestellt worden ist, muss in der Lage sein, sich in auch für ihn fremde Rechtsgebiete einzuarbeiten. Aus diesem Grund ist anerkannt, dass Kosten für vom Gericht bestellte Rechtsgutachten, die durch § 293 ZPO nicht gedeckt sind, den Parteien – wegen unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht – gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht auferlegt werden dürfen. Entsprechend ist es auch Sache des Gerichts, über die Frage der richtigen Kodierung zu entscheiden und festzustellen, ob die von einem Krankenhaus abgerechnete Vergütung zutreffend oder unzutreffend war. Das darf nicht einem Sachverständigen überlassen werden, vielmehr darf dieser nur beauftragt werden, soweit die zugrunde liegenden tatsächlichen Voraussetzungen einer Klärung bedürfen.

Der Gesetzgeber hat in Kenntnis dieser Grundsätze konsequenterweise keine Honorargruppe für Gutachten zu inländischen Rechtsfragen in der Anlage 1 zu § 9 JVEG a.F. vorgesehen. Denn eine Vergütung nach dem JVEG a.F. für ein nach dem deutschen Recht unzulässig eingeholtes Gutachten zu inländischen Rechtsfragen würde anderenfalls den Grundsatz »iura novit curia« unterlaufen und im Ergebnis die verfassungswidrige Übertragung der originär dem Richter obliegenden Aufgabe der Rechtsfindung und Rechtsauslegung auf den Sachverständigen monetär honorieren. Diese Wertentscheidung des Gesetzgebers darf auch nicht über die Auffangklausel des § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG a.F. umgangen werden, indem über diese Norm die gesetzlich nicht vorgesehene Vergütung von Rechtsgutachten zu inländischen Rechtsfragen ermöglicht wird.


Anmerkung

Diese Entscheidung ist ein Hammer! Hier attestiert der eine Senat des LSG – der über die Antragstellung des Sachverständigen zu befinden hat – dem anderen Senat des LSG – der vorgängig den fraglichen Beweisbeschluss erlassen und die Beauftragung des Sachverständigen veranlasst hatte – letztlich eine juristische Fehlleistung und das ganze Dilemma ausbaden muss der Sachverständige! Unabhängig davon, dass auch diese Entscheidung einen medizinisch veranlassten Hintergrund hat, hat sie eine weit darüber hinausgehende Bedeutung, weil gerade auch in Bausachen immer wieder Beweisbeschlüsse von den Gerichten verfasst werden, die Beweisthemen zur Klärung durch einen Sachverständigen enthalten, die keine Sachaufklärung zum Inhalt haben, sondern richtigerweise als Rechtsfragen einzuordnen sind. Solche kann und darf der Sachverständige nicht in seiner Begutachtung beantworten. Tut er es doch, tut er das auf eigenes Risiko, denn er kann – nach dieser Entscheidung – nicht erwarten, dass er für die entsprechende Begutachtung vergütet wird.

Im Gegenteil. Der Sachverständige soll danach einen Beweisbeschluss auch daraufhin überprüfen müssen, ob die Fragestellung so abgefasst ist, dass die Einholung des Sachverständigengutachtens an sich überflüssig, gegebenenfalls sogar unzulässig durch ein Gericht erfolgt. Die Prüfung, ob die Beweisfragen in sein Fachgebiet gehören, ist also nicht ausreichend. Insofern müssten allerdings auch die üblichen gerichtlichen Belehrungen an den Sachverständigen dahingehend überprüft werden, ob diese überhaupt (noch) hinreichend sind. Das scheint jedenfalls nicht mehr so ohne Weiteres der Fall zu sein. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich der Sachverständige nur mit einer noch sehr viel umfassenderen Prüfung des Gutachtenauftrags und des Beweisbeschlusses dem Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen – da gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßenden – Vergütungsforderung erwehren kann, indem er das Gericht nach § 408 ZPO auf diesen Umstand hinweist und nach § 407a Abs. 4 Satz 1 ZPO um seine Entpflichtung im Wege des richterlichen Dispenses bittet.

Notfalls wird der Sachverständige auf einer förmlichen gerichtlichen Entscheidung über seine Bedenken bestehen müssen und sollte – so lange diese noch nicht vorliegt – jegliche Arbeiten an dem Gutachtenauftrag einstellen. Es überrascht sicher nicht, dass sich das LSG schließlich auch noch mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der Sachverständige nicht auch schon zu Beginn seiner Tätigkeit darauf hätte hinweisen müssen, dass seine zu erwartende Vergütung über dem Streitwert liegen dürfte. Diese Frage hat das LSG grundsätzlich bejaht, was aber immer Ergebnis keine Bedeutung hatte, weil der Sachverständige ohnehin keine Vergütung erhalten hat.

EMMP


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