Mark Seibel


Aufgabe fiktiver Mängelbeseitigungskosten im Bau-/Werkvertragsrecht?

Warum die Rechtsprechungsänderung (»Insellösung«) des VII. Zivilsenats des BGH nicht überzeugt


Müller hat kürzlich darauf hingewiesen (BauSV 6/2021, 64 ff.), die Aufgabe fiktiver Mängelbeseitigungskosten im Bau-/Werkvertragsrecht durch den VII. Zivilsenat des BGH (VII ZR 46/17 pp.) sei richtig und die dem entgegenstehende (deliktsrechtliche) Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH vom 23.2.2021 (VI ZR 21/20) sei »fehlerhaft«. Unser Beirat Dr. Mark Seibel stellt im Folgenden ausführlich dar, warum die Ansicht von Müller unzutreffend ist.

Die Versuche des VII. Zivilsenats des BGH zur Begründung seiner »Insellösung« sind insgesamt untauglich und führen zu einer ungerechtfertigten Divergenz zwischen dem Bau-/Werkvertragsrecht einerseits und dem übrigen Zivilrecht (u.a. Kaufrecht, Deliktsrecht) andererseits. Die von Müller (a.a.O.) zutreffend erkannte »never ending story« zum Ersatz fiktiver Mängelbeseitigungskosten hat ihre Ursache einzig und allein in der Missachtung für alle Zivilrechtsgebiete gleich geltender, allgemeiner schadensrechtlicher Grundsätze durch den VII. Zivilsenat des BGH.


I. Einleitung

Bekanntermaßen hat der VII. Zivilsenat des BGH (im Folgenden nur: VII. Zivilsenat) am 22. 2. 2018 seine ständige Rechtsprechung aufgegeben und entschieden, im Werkvertragsrecht sei beim »kleinen Schadensersatz« keine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten mehr möglich. Diese Entscheidung offenbarte eklatante Schwächen sowohl in dogmatischer als auch in praktischer Hinsicht. Sie ist deswegen zu Recht von vielen Autoren kritisiert worden.

Auf die konsequente und längst überfällige Anfrage des V. Zivilsenats des BGH (im Folgenden nur: V. Zivilsenat) gemäß § 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG vom 13. 3. 2020, ob der VII. Zivilsenat an seiner Rechtsprechungsänderung festhält, hat der VII. Zivilsenat die Gelegenheit verpasst, seine fehlerhafte Ansicht zu überdenken und zu korrigieren. Stattdessen hat er in seiner Antwort vom 8. 10. 2020 die durch VII ZR 46/17 pp. hervorgerufene missliche Situation durch axiomatische, selbstreferenzielle und insgesamt nicht überzeugende Thesen noch verschlimmert und damit wiederum seine Kernaufgabe verfehlt, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Leider hat der V. Zivilsenat seinen mit der Anfrage vom 13.3.2020 in V ZR 33/19 noch richtig eingeschlagenen Weg nicht konsequent beschritten, sondern hat – ohne Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen – in seinem Urteil vom 12.3.2021 für das Kaufrecht entschieden, dass dort weiterhin »kleiner Schadensersatz« auf Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten möglich ist. Der V. Zivilsenat hat dabei die Antwort des VII. Zivilsenats vom 8.10.2020 ausreichen lassen und die Sache nicht (mehr) dem Großen Senat für Zivilsachen vorgelegt. Für die Praxis ist dies äußerst misslich, weil dadurch fundamentale Fragen des allgemeinen Schadensrechts ohne stichhaltigen Grund im Werkvertragsrecht anders behandelt werden als im übrigen Zivilrecht (u.a. im Kaufrecht und Deliktsrecht).

Im Folgenden wird ein kritischer Blick auf die Argumentation des VII. Zivilsenats geworfen und herausgearbeitet, warum die Begründungsversuche des VII. Zivilsenats untauglich sind. Dadurch wird zugleich deutlich, dass das Absehen des V. Zivilsenats von einer Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen nicht der Überzeugungskraft der Antwort des VII. Zivilsenats vom 8.10.2020 geschuldet ist, sondern offensichtlich der Gesichtswahrung des VII. Zivilsenats sowie dem Burgfrieden innerhalb des BGH dient.


II. Ausgangslage nach VII ZR 46/17 pp.

Die Grundsatzentscheidung des VII. Zivilsenats vom 22. 2. 2018 in VII ZR 46/17 und die nachfolgenden Bestätigungen dieser Rechtsprechung durch den VII. Zivilsenat führten zu folgenden Problemen:

1.
Problem 1: unzulässige Umgehung des Großen Senats für Zivilsachen (§ 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG)

a)
Begründung in VII ZR 46/17: allgemeiner schadensrechtlicher Grundsatz des Verbots einer Überkompensation, »Besonderheiten des Werkvertragsrechts«

Wenn der VII. Zivilsenat bei § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB die Bemessung nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten ausklammern will, geht das mit der in VII ZR 46/17 enthaltenen – lediglich rudimentären – Begründung nicht.

Kern der Begründung war der allgemeine schadensrechtliche Grundsatz des Verbots einer Überkompensation sowie angebliche »Besonderheiten des Werkvertragsrechts« . Gerade weil es sich um einen allgemeinen (!) schadensrechtlichen Grundsatz (verankert in §§ 249 ff. BGB) handelt, kann es in diesem Zusammenhang per se keine »Besonderheiten des Werkvertragsrechts« geben. Der VII. Zivilsenat befindet sich damit allein auf der Rechtsfolgenseite; nämlich innerhalb von §§ 280 f., §§ 249 ff. BGB, die ganz unzweifelhaft einschlägig sind.

Zudem war auffällig, dass die Grundsatzentscheidung auch im Weiteren schwach begründet war. Im Wesentlichen wurde zur Untermauerung der vom VII. Zivilsenat aufgestellten Thesen auf den Aufsatz des Senatsmitglieds Halfmeier verwiesen. Es erstaunte, dass in einer BGH-Entscheidung mit keinem Wort auf die fundierten Gegenansichten eingegangen wurde. Die Begründung der Entscheidung entsprach allein dem Motto: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Ebenso erstaunlich ist der Umstand, dass der VII. Zivilsenat auch in seinen Folgeentscheidungen zu VII ZR 46/17 nicht mit einem Wort auf die fundierte Kritik in der Literatur gegen seine Rechtsprechungsänderung eingegangen ist und keinerlei Veranlassung gesehen hat, eine nachvollziehbare, stichhaltige Begründung für seine Ansicht nachzuliefern.


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