Rechtsprechungstipp
  • 13.01.2022

Rechtsprechungstipp: Sachverständigenhaftung bei Erstellung eines vermeintlich unrichtigen Gerichtsgutachtens

Die Voraussetzungen des § 839a BGB liegen nicht vor, wenn der Vorprozess, in dem der in Anspruch genommene Sachverständige ein vermeintlich unrichtiges Gutachten erstattet hat, auch mit einem mangelfreien Gutachten mit demselben Ergebnis entschieden worden wäre. Im Einzelfall kann das Gericht über diese mit dem Beweismaß des § 287 ZPO zu beurteilende Frage der haftungsausfüllenden Kausalität auch ohne weiteres Sachverständigengutachten entscheiden.

Eine Amtshaftung für richterliches Verhalten setzt – wenn das Spruchrichterprivileg nicht anwendbar ist – voraus, dass das richterliche Verhalten nicht mehr vertretbar ist, es muss bei voller Würdigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege nicht mehr verständlich sein.


Zum Sachverhalt

Die Entscheidung ist zwar nicht in einem baurechtlichen Kontext ergangen, sondern betraf eine familiengerichtliche Sorgerechtsentscheidung im Zusammenhang mit der Erstattung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens. Die Ausführungen zu prozessualen Fragen sowie zur Haftung gelten jedoch gleichermaßen für den Bauprozess.


Aus den Entscheidungsgründen

Zwar liegen die Anspruchsvoraussetzungen des § 839a Abs. 1 BGB noch insoweit vor, als die Beklagte zu 1.) als vom Gericht bestellte Sachverständige ein Gutachten erstattet sowie in einem vor dem Oberlandesgericht geführten Beschwerdeverfahren mit der Erstattung eines weiteren ergänzenden mündlichen Gutachtens beauftragt wurde.

Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann letztlich auch offenbleiben, ob die Klägerin überhaupt in ausreichender Weise dargelegt hat, dass die von der Beklagten zu 1.) schriftlich und mündlich erstatteten Gutachten unrichtig gewesen sind. Dies wäre allerdings nur dann der Fall, wenn sie nicht der objektiven Sachlage entsprochen hätten, nämlich die von der Beklagten zu 1.) festgestellten Tatsachen nicht existiert hätten oder die von der Beklagten zu 1.) aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen unhaltbar gewesen sind.

Soweit die Klägerin darüber hinaus die Unrichtigkeit des von der Beklagten zu 1.) erstellten schriftlichen Gutachtens unter Hinweis auf das von ihr eingeholte Gutachten eines Privatsachverständigen mit unzureichenden Angaben der Beklagten zu 1.) zu ihrem methodischen Vorgehen sowie einer unzureichenden Aktenanalyse, Mängel des Literaturverzeichnisses und die Nichtberücksichtigung neuerer Literatur zu begründen sucht, können hingegen deshalb Zweifel an einem hinreichend substantiierten Sachvortrag bestehen, weil im Rahmen des § 839a BGB dem Anspruchsteller die volle Substantiierungslast für die Unrichtigkeit des Gutachtens zukommt. [...]

Die vermeintlichen Nachlässigkeiten und Unterlassungen des Sachverständigen müssen deshalb von ihm für eine schlüssige Darlegung der Unrichtigkeit des Gutachtens konkret benannt werden. Vorliegend fehlt es aber in dem Klagevortrag als solchem an jedweden näheren Angaben der Klägerin zu den einzelnen methodischen Defiziten, an denen das Gutachten der Beklagten zu 1.) leiden soll. Gleiches gilt für die von der Klägerin behaupteten Mängel der Aktenanalyse, Unvollständigkeit des Literaturverzeichnisses und Nichtberücksichtigung neuerer Literatur sowie deren Erheblichkeit für die Gutachtenserstattung.

Der Klagevortrag beschränkt sich vielmehr allein auf eine grobe, schlagwortartige Zusammenfassung der vom Privatsachverständigen gesehenen Unzulänglichkeiten des schriftlichen Gutachtens der Beklagten zu 1.), ohne diese im Einzelnen konkret darzulegen und zu benennen. Es ist aber weder Aufgabe des Gerichts noch des Prozessgegners, sich den eigentlichen anspruchsbegründenden Tatsachenvortrag aus umfangreichen Anlagen zur Klageschrift selbst zusammenzusuchen. Eines entsprechenden Hinweises an die Klägerin, ihren Klagevortrag dahingehend weiter substantiieren zu müssen, bedurfte es indes nicht mehr, weil die sich die Klage jedenfalls aus den nachfolgenden Gründen als unbegründet erweist.

Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen würde, dass die von der Beklagten zu 1.) erstatteten Gutachten in den vorgenannten Sinne unrichtig gewesen sind, scheitert eine Haftung der Beklagten zu 1.) aus § 839a Abs. 1 BGB jedenfalls daran, dass die Klägerin nicht in hinreichender Weise Umstände dargelegt hat, die den Schluss zulassen, dass die Beklagte zu 1.) dabei vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig gehandelt hat.

Dafür, dass die Beklagte zu 1.) die Gutachten vorsätzlich unrichtig erstattet haben könnte, fehlt jeder Anhalt. [...] Die Klägerin hat aber auch ansonsten keine Tatsachen vortragen, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit der Beklagten zu 1.) rechtfertigen könnten.

Nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts erfordert der Vorwurf grober Fahrlässigkeit sowohl in objektiver als auch subjektiver Hinsicht eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung des Sachverständigen. Maßstab ist das für einen ordentlichen Sachverständigen des jeweiligen Fachgebiets maßgebende Pflichtenprogramm. Diese Sorgfalt muss von ihm in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein. Es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jeder Sachkundige hätte erkennen können und müssen.

Maßgebend ist, dass der Fehler aus Sicht eines Experten der entsprechenden Fachrichtung als schwerwiegend zu qualifizieren ist. Zudem muss eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegen, die das nach § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Auch insoweit liegt die volle Darlegungslast beim Anspruchsteller. Er darf sich nicht auf die Vornahme einer entsprechenden rechtlichen Bewertung beschränken, sondern muss bereits für die Schlüssigkeit der Klage die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ausfüllenden Tatsachen substantiiert vortragen.

Ausgehend von diesen Maßstäben, fehlt es bereits an einem schlüssigen Sachvortrag.

Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität ist dem Landgericht zwar darin zuzustimmen, dass das Amtsgericht seine Entscheidung nicht auf die von der Beklagten zu 1.) erstatteten Gutachten [...] gestützt hat. Jedoch beruhten bereits die beiden vorausgegangenen [...] Entscheidungen des Amtsgerichts auf den Gutachten der Beklagten zu 1.). Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Beschwerdeentscheidung [...] vollumfänglich auf die Begründung des amtsgerichtlichen Beschlusses und damit auch auf dessen auf das Gutachten der Beklagten zu 1.) gestützte Ausführungen Bezug genommen.

Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht [...] seine Beschwerdeentscheidung auch umfänglich auf das zuvor von der Beklagten zu 1.) in der mündlichen Verhandlung am 12.01.2016 mündlich erstattete Ergänzungsgutachten gestützt. Aber auch die spätere Entscheidung des Oberlandesgerichts [...] beruhte erkennbar zumindest auch auf den von der Beklagten zu 1.) erstatteten Gutachten.

Für eine Haftung der Beklagten zu 1.) aus § 839a BGB fehlt es vorliegend aber an der erforderlichen Voraussetzung zur Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität.

Diese wäre, wie ausgeführt, nur dann gegeben, wenn bei Erstattung eines richtigen Gutachtens die hier in Rede stehenden gerichtlichen Entscheidungen [...] anders ausgefallen wären. Das unrichtige Gutachten muss also zu einer unrichtigen Gerichtsentscheidung geführt haben. Insoweit ist von dem mit dem Schadensersatzanspruch befassten Gericht zu prüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Sachverständigen genommen hätten, wie also nach seiner Auffassung der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen.

Die Feststellung, wie der Vorprozess richtigerweise hätte entschieden werden müssen, ist abweichend von dem Regelbeweismaß des § 286 ZPO nach § 287 ZPO zu treffen. [...] Die Vorschrift des § 287 ZPO stellt den Richter insbesondere hinsichtlich des Umfangs der Beweiserhebungspflicht freier. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen ein Sachverständigengutachten anzuordnen ist, bleibt danach dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters überlassen (§ 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Im Unterschied zu den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO kann er von einer weiteren Beweisaufnahme absehen, wenn ihm bereits hinreichende Grundlagen für ein Wahrscheinlichkeitsurteil zur Verfügung stehen. Das hat für den Geschädigten eine Beweiserleichterung zur Folge, aber auf der anderen Seite auch, dass der Richter die Tatsachen nicht weiter aufzuklären braucht, wenn der Nachweis bisher nicht einmal ansatzweise geführt und bereits hinreichend erkennbar ist, dass die noch zur Verfügung stehenden Beweise nicht ausreichen werden, die Behauptung des Klägers mit Wahrscheinlichkeit zu belegen. In diesem Rahmen ist dem Richter eine vorweggenommene Beweiswürdigung erlaubt. Diese Grundsätze gelten auch für den Schadensersatzanspruch aus § 839a BGB.

Mangels Haftung der Beklagten zu 1.) aus § 839a BGB erweisen sich damit zugleich auch der von Klägerin mit dem Klageantrag zu 1.) geltend gemachte Zinsanspruch wie auch der Feststellungsantrag zu 2.) als unbegründet.

[...]

OLG Hamm, Urteil vom 11.08.2021, Az. I-11 U 136/20


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