• 23.11.2021

Rechtsprechungstipp: Keine Befangenheit eines BauSV wegen Ortstermins trotz Corona-Infektionsgefahr

Leitsatz

  • Keine Befangenheit eines Bausachverständigen und einer Richterin wegen beabsichtigter Durchführung eines Ortstermins im Haus der Kläger trotz der erhöhten Corona-Infektionsgefahr für eine Tochter der Kläger


Das OLG München hat mit Beschluss vom 08.07.2021 die Beschwerde zurückgewiesen, die der Kläger gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 18.05.2021 eingelegt hatte, durch welchen die Befangenheitsanträge gegen die Vorsitzende Richterin am Landgericht München I und den Sachverständigen zurückgewiesen wurden.


Zum Sachverhalt

Im Rahmen einer Klage wegen Baumängeln am Wohnhaus der Kläger beauftragte das Landgericht mehrere Sachverständige, unter anderem den Sachverständigen E., für den Bereich Elektrotechnik. Dieser bestimmte mit Schreiben vom 22.02.2021 nach Abstimmung mit den Parteien einen Ortstermin im Haus der Kläger für den 27.04.2021.

Im Hinblick auf das aktuelle Infektionsgeschehen baten die Kläger den Sachverständigen am 15.04.2021 telefonisch um Verschiebung des Ortstermins. Dies teilte der Sachverständige dem Gericht und dem Beklagtenvertreter mit. Unter Auseinandersetzung mit der geltenden InfektionsschutzmaßnahmenVO und der Tatsache, dass eines der drei Kinder der Kläger zu einer Risikogruppe gehört, teilte die Vorsitzende Richterin am Landgericht (VorsRiLG) durch Verfügung vom 19.04.2021 mit, dass der Ortstermin stattzufinden habe.

Durch Schreiben vom 22.04.2021 dokumentierte der Sachverständige sein Vorgehen nach dem Anruf der Kläger und teilte mit, sich um eine möglichst zügige Durchführung des Ortstermins zu bemühen, sodass mit einer Gesamtdauer von maximal 1,5 bis 2 Stunden zu rechnen sei.

Daraufhin ließen die Kläger durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.04.2021 die VorsRiLG und den Sachverständigen E. wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen.

Am 23.04.2021 bzw. 29.04.2021 nahmen beide dazu Stellung. Den Ortstermin vom 27.04.2021 sagte der Sachverständige durch Schreiben vom 26.04.2021 ab und bat das Gericht um Anweisung zum weiteren Vorgehen. Durch Schriftsätze vom 07.05.2021 und 20.05.2021 äußerten sich die Kläger zu den Stellungnahmen der Abgelehnten und bekräftigen ihre Anträge.

Durch Beschluss vom 18.05.2021 wies das Landgericht beide Befangenheitsanträge zurück. Dagegen ließen die Kläger durch Schriftsatz vom 04.06.2021 Beschwerde erheben und – im Hinblick auf die Verfügung vom 21.05.2021 – die VorsRiLG erneut ablehnen, wozu sich diese unter dem 08.06.2021 äußerte.

Durch Beschluss vom 22.06.2021 wies das Landgericht den erneuten Ablehnungsantrag gegen die VorsRiLG zurück und half der Beschwerde der Kläger nicht ab.


Aus den Entscheidungsgründen

Die Befangenheitsanträge der Kläger gegen die VorsRiLG N. und den Sachverständigen E. sind zulässig, aber unbegründet (§§ 42, 406 Abs. 1 ZPO).

Um einen Richter oder Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ablehnen zu können, ist tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit nicht erforderlich; es genügt schon der »böse Schein«, das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität.

Entscheidend ist, ob ein Prozessbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und Ergebnisoffenheit des Richters oder Sachverständigen zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei im konkreten Einzelfall berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des Abgelehnten aufkommen lassen.

Im Zusammenhang mit der Bestimmung und Absage des Ortstermins vom 27.04.2021, 14.00 Uhr besteht kein Anlass für solche Zweifel. Ganz offensichtlich war es nicht Intention der Abgelehnten, einer Prozesspartei den Vorzug zu geben.

Ob ein notwendiger Termin früher oder später stattfindet, ändert am Ergebnis nichts.

Der Sachverständige E. hat sich ausweislich seiner Dokumentation der Ereignisse nach dem Anruf der Klägerin vom 15.04.2021 um eine sachgerechte Lösung bemüht, hat zeitnah das Landgericht informiert und um Anweisung gebeten. Insbesondere hat er im Hinblick auf die chronische Erkrankung der Tochter der Kläger und ihrer daraus folgenden erhöhten Gefährdung eine Begrenzung der Dauer des Ortstermins auf 1,5 bis 2 Stunden angekündigt. Dieses Verhalten des Sachverständigen lässt ihn jedenfalls nicht parteiisch erscheinen.

Für die VorsRiLG gilt im Ergebnis dasselbe. Nichts ist dafür ersichtlich, dass sie eine Partei bevorzugen wollte. Ihr ging es um eine angemessene und ihr zustehende Förderung des Verfahrens. Davon ist keine Partei benachteiligt oder bevorzugt. Ihr oblag es, die beteiligten Interessen der Parteien und einer funktionierenden Justiz abzuwägen.

Sollten ihr dabei Fehleinschätzungen und Widersprüchlichkeiten unterlaufen sein, hat dies jedenfalls kein solches Gewicht, dass ihre Unparteilichkeit aus Sicht einer bedachten Prozesspartei infrage steht. Die erkrankte Tochter der Kläger hätte von dem maximal 1,5 bis 2 Stunden dauernden Ortstermin beispielsweise vollständig ferngehalten werden können durch einen Spaziergang im nahe gelegenen Wald oder eine Autofahrt mit einem Elternteil.

Die Terminladung des Sachverständigen E. zum Ortstermin am 27.04.2021 dürfte so zu verstehen sein, dass sie Bestand haben sollte bis zu einer etwaigen Abladung und erneuten Ladung zu einem anderen Termin. Dies gilt selbst dann, wenn die bereits in der Ladung erwähnte Verschlechterung der Inzidenzwerte eingetreten ist. Insoweit erscheint es entgegen der Beschwerde zutreffend, von einer »Terminverlegung« zu sprechen.

Die Nichtanordnung von Hygienemaßnahmen beim Ortstermin des Sachverständigen R. am selben Tag um 11.00 Uhr durch die VorsRiLG dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Kläger diesen Termin nicht angegriffen haben, möglicherweise weil sie das dadurch verursachte Infektionsrisiko als niedriger angesehen haben, etwa wegen einer geringeren Anzahl der anwesenden Personen. Ein Ablehnungsgrund folgt daraus nicht.

Hinzu kommt, dass das Ende der Pandemie nicht absehbar war und ist, sodass eine Verlegung von Terminen um Wochen oder Monate das Problem nicht löste. Vielmehr musste es das Ziel sein, trotz Pandemie in geeigneter Weise Termine stattfinden zu lassen. [...]

Maßnahmen eines Richters zur Verfahrensleitung wie etwa Beweisbeschlüsse sind nach der gesetzlichen Regelung durch Rechtsmittel nicht gesondert anfechtbar, sondern nur mittelbar durch ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung. Durch einen Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit kann dies nicht umgangen werden. Vielmehr muss für eine erfolgreiche Ablehnung die Neutralität des Richters infrage stehen (beispielsweise erfolgreiche Richterablehnung nach eklatant falschem Beweisbeschluss; OLG München, 9 W 230/20, ZfBR 2020, 567). Dies setzt massive Verfahrensfehler voraus, die hier nicht ersichtlich sind.

OLG München, Beschluss vom 08.07.2021, Az. 9 W 928/21 Bau


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