Expertenmeinung: Wassereinwirkungen an Sockeln – neu in der DIN 4095-1
Prof. Dipl.-Ing. Matthias Zöller
  • 13.03.2023

Expertenmeinung: Wassereinwirkungen an Sockeln – neu in der DIN 4095-1

49. Aachener Bausachverständigentage 2023: »Gebäudehülle und Innenräume – Abdichtungen, Brandschutz, Begrünungen«


Im Gespräch: Prof. Dipl.-Ing. Matthias Zöller, ö.b.u.v. Sachverständiger für Schäden an Gebäuden, AIBau, Aachen.


BauSV: Herr Professor Zöller, am 17. und 18. April 2023 finden die 49. Aachener Bausachverständigentage in Präsenz statt. Am ersten Veranstaltungstag werden Sie einen Vortrag zum Thema »Wassereinwirkungen an Sockeln – Wassereinwirkungen neu in DIN 4095-1« halten. Worum geht es dabei?

Zöller: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden einen Vortrag zu den neuen Definitionen der Wassereinwirkungsklassen in der DIN 4095-1 sowie zu denen an Sockeln hören. Konkret stellt sich hier nämlich u.a. die Frage: Sind die immer häufiger zur Anwendung kommenden flexiblen polymermodifizierten Dickbeschichtungen (FPD) brauchbar, obwohl sie nicht genormt sind? Das Thema zur DIN 4095-1 liegt mir schon sehr am Herzen, weil es eine der größeren Veränderungen in der normativen Landschaft zur Folge haben wird.

 

BauSV: Welche Art von Veränderungen meinen Sie?

Zöller: In den letzten Jahrzehnten waren die Wassereinwirkungen in der eigentlich dafür nicht zuständigen Abdichtungsnorm für erdberührte Bauteile, zuerst in DIN 18195-1, dann in DIN 18533-1, geregelt. Allerdings wurde dieser Ausschuss nicht durch Geotechniker und Geohydrauliker beraten und das ist auch heute noch nicht der Fall.

Mit der neuen DIN 4095-1 soll das geändert werden. In diesem Ausschuss arbeiten hervorragende Geotechniker und ebenso Fachleute der Wasserwirtschaft mit. Der am 3. Februar 2023 erschienene Normenentwurf steht übrigens kostenfrei (nach Anmeldung) im DIN-Normenentwurfsportal zur Verfügung.

 

BauSV: Bitte skizzieren Sie kurz, was die neue DIN 4095-1 insoweit vorsieht.

Zöller:  In der neuen DIN 4095-1 ist vorgesehen, die Zuständigkeiten nach dem sogenannten Kontaktflächenmodell neu zu sortieren. Erstmalig werden in der Norm für Baugrund DIN 4095-1 neben den Begriffen für Dränungen die Begriffe für Wassereinwirkungen und diese selbst beschrieben.

 

BauSV: Was ist das Kontaktflächenmodell?

Zöller: Das Kontaktflächenmodell beschreibt damit die Zuordnungen im Baugrund:

  • außerhalb der Kontaktfläche von Gebäuden und baulichen Anlagen die Wassereinwirkung und der Auftrieb, der an Gebäudeflächen einwirkt,
  • gebäudeseitig der Kontaktfläche die notwendigen Schutzmaßnahmen, die sich entsprechend der Einwirkungen aus dem erdseitigen Teil des Kontaktflächenmodells der DIN 4095-1 ergeben.

 

BauSV: Welche Vorteile folgen denn daraus für die Praxis?

Zöller: Für Anwender hat diese neue Zuordnung den Vorteil, dass die Nomenklatur der Wassereinwirkung einheitlich in einer (fachtechnisch beratenen) Norm für Baugrund geregelt sein wird, sodass sich die heute üblichen Kombinationen von Abdichtungen und wasserundurchlässigen Bauteilen an dieser einheitlichen Nomenklatur orientieren können.

Ob dann ganz oder in Teilflächen mit wasserundurchlässige Betonkonstruktionen gearbeitet wird oder alternativ mit Abdichtungen, bleibt dem Anwender überlassen. Die Dimensionierung der Schutzmaßnahmen können unterschiedlich sein, entsprechend entweder Widerstand im Beton oder Widerstand durch Abdichtung.

Der größte Vorteil liegt aber darin, dass der aus Unwissenheit überdimensionierte (Un-)Sicherheitszuschlag reduziert wird. Nach einer Erhebung der Wohnungswirtschaft liegt bei allen Wohnungsneubauten in Deutschland mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 70% kein Grundwasser vor, bei aber gleichzeitig geringer Wasserdurchlässigkeit des Baugrunds von weniger als 10-4 m/s.

Da Dränanlagen regelmäßig nicht an die Kanalisation angeschlossen werden dürfen, bedeutete dies, dass in 85% (15% Grundwasserfälle, 70% sogenannte Stauwasserfälle) mit Druckwasser an den erdberührten Bauteilflächen zu rechnen ist. Bezieht man die Erfahrungen aus dem Gebäudebestand ein, ergibt sich ein noch drastischeres Verhältnis, denn nur äußerst selten werden Keller im Gebäudebestand tatsächlich durch flüssiges Wasser geflutet. Die meisten Schäden beschränken sich auf die Wandfarbe oder auch mal abblätternden Putz, was auf eine geringe Wassereinwirkung schließen lässt.

 

BauSV: Was bedeutet das konkret? Bitte geben Sie uns ein Beispiel.

Zöller: Wenn nach der tatsächlich zu erwartenden, geotechnisch begründeten Wassereinwirkung dimensioniert wird, können wir auf gegen Druckwasser und damit gegen Auftrieb dimensionierte Bodenplatten verzichten, sie dünner machen, weniger Stahl einbauen und hätten auch weniger Transport für das Material. Daraus kann sich nach einer überschläglichen Schätzung eine Ersparnis von etwa 8–10% des CO2-Ausstoßes des gesamten Pkw-Verkehrs in Deutschlands ergeben.

Das ist mehr, als durch eine weitere Verschärfung des GEG bei Neubauten erzielt werden könnte, und das alleine nur, indem die Norm klarstellt, wie die Verhältnisse sind und nicht aus einem eher fehlgeleiteten Glauben grundsätzlich verlangt wird, Gebäude gegen Druckwasser sichern zu müssen, das in den meisten Fällen nicht ansteht.

 

BauSV: Erhöht das nicht die Unsicherheit für die Planungen?

Zöller: Damit ist nicht eine Erhöhung der Unsicherheit verbunden, sondern eine Differenzierung nach den tatsächlich zu erwartenden Einwirkungen. Damit ergeben sich nicht nur die aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten notwendigen Verringerungen der Umweltbelastungen, sondern auch und insbesondere Kostenersparnisse.

 

BauSV: Was bedeutet das jetzt konkret für die Gebäudesockel?

Zöller: Der zweite Teil meines Vortrags bezieht sich auf Gebäudesockel. Zwar wird immer wieder behauptet, dass die Abdichtungen in der Sockelzone nicht ausreichen. Aber nicht nur nach meinen Erfahrungen kommt es zu Wasserschäden an Sockelzonen nicht wegen unzureichender Abdichtungssysteme, sondern wegen fehlerhafter Detailausbildung und fehlerhafter Ausführungen.

In meinem Beitrag möchte ich zudem darauf eingehen, dass wir in dem hoffentlich zunehmenden Anteil von Holzkonstruktionen nicht mit den gleichen Maßstäben arbeiten dürfen, die wir aus dem Massivhausbau gewohnt sind, sondern wenige Dinge anders machen sollten, damit der Holzbau nicht in Verruf gerät. So weit zu meinem Beitrag am Montag.

 

BauSV: Welches weitere Highlight erwartet uns in diesem Jahr in Aachen?

Zöller: Nicht nur für Sachverständige hat die Diskussion am Montagnachmittag immense Bedeutung. Nach einem Urteil des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2019 zu PV-Anlagen auf Dächern könnte man glauben, dass wir keine Photovoltaik-Anlagen mehr auf Dächern errichten dürfen, weil sich dadurch die Brandlast erhöht und die derzeitigen Brandschutzeigenschaften von Dachbahnen dagegen nicht ausgelegt sind.

Das führte zu einem Positionspapier der Deutschen Versicherungswirtschaft dahingehend, dass Versicherer prüfen sollten, ob sie Gebäude bei einer bestimmten Dachkonstruktion mit PV-Anlagen überhaupt noch versichern sollten.

 

BauSV: Sind denn Photovoltaik-Anlagen im Wortsinn wirklich »brandgefährlich«?

Zöller: Ich sehe die Schäden weniger in den Fällen, in denen es tatsächlich zum Brand gekommen ist und die durch PV-Anlagen ausgelöst wurden als vielmehr darin, dass die Versicherer möglicherweise solche Gebäude nicht mehr versichern. Was soll der Gebäudeeigentümer von seinem Architekten halten, der ihm gerade das Gebäude geplant und in der Ausführung überwacht hat?

Dieses noch nicht bekannte Haftungsproblem von Architekten könnte dazu führen, dass im Gewerbe- und Industriebereich zukünftig eher von PV-Anlagen abgesehen wird. Man mag sich nicht vorstellen, wie weit wir dann noch mit der Energiewende kommen …

 

BauSV: Welches weitere wichtige Thema erwartet uns in diesem Jahr in Aachen?

Zöller: Vom Dach zum Boden: Zwar gibt es Frischbetonverbundsysteme schon einige Jahre, sie werden aber grundsätzlich als Zusatzmaßnahmen zu den Aufwendungen für Weiße Wannen empfohlen. Ich bin aber überzeugt, dass wir in üblichen Standardfällen keine Doppelung von Maßnahmen brauchen, weil diese dann einfach zu teuer werden und das dann keiner mehr macht. In der Diskussion am Dienstag wollen wir herausarbeiten, dass eine Maßnahme besser ist als zwei, die teurer sind aber den jeweiligen Verarbeiter dazu verführen, schlampiger zu arbeiten, wodurch eine Doppelung sogar zur Verschlechterung der Leistung führen kann.

So weit eine kurze Stellungnahme zu den drei wichtigen Themen, wobei die anderen durchaus nicht von Pappe sind. Kaum noch jemand hat auf dem Schirm, dass das Kreislaufwirtschaftsgesetz insbesondere Sachverständige demnächst möglicherweise hart treffen kann, wenn sie in der bisherigen Art und Weise in Gutachten daraufhin arbeiten, Bauleistungen zu wiederholen und damit gegen die prinzipiellen Vorgaben nicht nur des Kreislaufwirtschaftsgesetzes, sondern auch gegen die der neuen Gesetzeslage der Europäischen Union verstoßen. Dazu wird Marc Blum vortragen, der einen technischen Ausschuss in Brüssel als Obmann leitet, auf den sich die neuen Gesetzeslage stützt.

Oder das Thema mit den Bahnenauswaschungen, die auch zur Haftungsfalle für Architekten, aber auch beratende Sachverständige, werden können, nämlich dann, wenn festgestellt werden sollte, dass im Niederschlagswasserabschluss von Dächern Stoffe enthalten sind, die die Umwelt schädigen können und deswegen Dächer neu hergestellt werden müssen. Weder Architekten noch Dachdecker oder Sachverständige haben sich mit dieser Problematik und dem damit verbundenen Risiko auseinandergesetzt, das auf sie zukommt, wenn Gebäude nicht genutzt werden dürfen und immense Schadenersatzsummen drohen.

 

BauSV: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Professor Zöller.

 

Kontakt

Prof. Dipl.-Ing. Matthias Zöller
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Theresienstraße 19
52072 Aachen / Germany
Telefon: 0241 910507-0
Telefax: 0241 910507-20
E-Mail: info@aibau.de
Internet: www.aibau.de


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